Notstand in der Pflege:

Kehrtwende jetzt!

Christian Egg

Den Spitälern und Heimen laufen die Pflegenden davon. Die Unia und drei weitere Organisationen fordern jetzt eine Reduktion der Arbeitszeit, mehr Ferien und Lohnzuschläge. Aber diese Reformen gibt es nicht zum Nulltarif.

GENUG! Ihrer Gesundheit zuliebe hat Pflegerin Sandra Schmied gekündigt. (Foto: Matthias Luggen)

Im Spital Wetzikon ZH arbeiten die Pflegenden neu anstatt 42 Stunden pro Woche noch knapp 38 – bei gleichem Lohn. Ähnliches gilt in den Berner Spitalgruppen Lindenhof und Siloah. Die Kliniken wollen so ihre Chancen verbessern im völlig ausgetrockneten Pflege-Arbeitsmarkt.

Sofort hiess es: Geht doch! Mit Blick auf die Pflegeinitiative, im November 2021 wuchtig mit 61 Prozent angenommen, titelte die «Sonntagszeitung» Ende August: «Druck wirkt.» Alles gut? Leider nein.

15 000 PFLEGENDE FEHLEN

Laut Daten der Jobsuchmaschine x28 fehlten zum Zeitpunkt der Abstimmung über die Initiative gut 12 000 Arbeitskräfte in der Pflege. Seither ist die Zahl weiter gestiegen, auf ak­tuell fast 15 000. Samuel Burri, Co-Leiter Pflege bei der Unia, sieht als Hauptgrund eine ­Entwicklung, die er auch in den Betrieben feststellt: Immer mehr Pflegende verlassen den Job.

Eine davon ist Sandra Schmied aus Bern. Nach 30 Jahren Pflege hat sie jetzt gekündigt. Sie hatte die Nase voll von den ständigen 10-Stunden-Tagen: «Es war fast nie möglich, am Ende der Schicht zu gehen. Sonst wäre die Arbeit an den anderen hängengeblieben.» Zwar arbeitet die 52jährige weiterhin in einem Heim – aber nur noch als Temporäre. So sei sie ihr eigener Chef: «Ich kann jederzeit sagen: Nächsten Monat verdufte ich und lade meine Batterien wieder auf.»

«Am Ende meiner Schicht konnte ich fast nie gehen.»

ES DROHT EINE VERSORGUNGSKRISE

Schmied wird also unter dem Strich weniger arbeiten – ihrer Gesundheit zuliebe. Nötig sind aber nicht weniger Fachkräfte, sondern massiv mehr. Denn die Babyboomer kommen in die Jahre. Die Folgen hat das Bundesamt für Statistik kürzlich berechnet: Die Schweiz braucht 921 neue Altersheime mit entsprechendem Personal. Und zwar bis im Jahr 2040, also in achtzehn Jahren. Samuel Burri von der Unia warnt: «Der aktuelle Mangel an Pflegekräften ist nur der Vorgeschmack. Es droht eine nie dagewesene Versorgungskrise.»

Ausser, die Politik leitet jetzt die Kehrtwende ein und wertet die Care-Jobs deutlich auf. Genau das fordern die Gewerkschaften Unia, VPOD und Syna zusammen mit dem Pflegeverband SBK. In einem gemeinsamen Papier stellen sie fünf Massnahmen vor:

  • 25 Prozent kürzere Arbeitszeit bei gleichem Lohn,
  • eine Zulage bei kurzfristigen Änderungen des Dienstplans und massiv höhere Zulagen für Nacht- und Sonntagsdienste,
  • 5 Wochen Ferien für alle, 6 Wochen ab 50,
  • Umkleidezeit und Fahrzeit (Spitex) zu 100 Prozent bezahlt,
  • Zuschüsse für externe Kinderbetreuung.

Es ist klar: Das alles gibt’s nicht zum Nulltarif. Unia-Mann Burri: «Bund und Kantone müssen viel Geld in die Hand nehmen.» Aber die Investitionen brächten in zehn, zwanzig Jahren mehr Lebensqualität. Burri: «Anders als Corona und Ukrainekrieg haben wir hier eine Krise mit Ansage. Wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen, profitieren wir alle, wenn wir im Alter Pflege benötigen.»

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