Gibt die Schweiz viel oder wenig für die Armee aus? Jedenfalls mehr, als es scheint

Angesichts des Kriegs in der Ukraine verlangen Sicherheitspolitiker von SVP, FDP und Mitte eine weitere Erhöhung des Militärbudgets. Sie operieren mit internationalen Vergleichen. Doch die haben ihre Tücken.

Fabian Schäfer, Bern
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Wirklich gespart hat der Bund in den letzten Jahrzehnten nur bei der Armee: das Infanteriebataillon 65 in Walenstadt, im Juni 2020.

Wirklich gespart hat der Bund in den letzten Jahrzehnten nur bei der Armee: das Infanteriebataillon 65 in Walenstadt, im Juni 2020.

Gian Ehrenzeller / Keystone

Nach der Katastrophe von Fukushima von 2011 waren es die Linken und die Grünen, die sofort den Atomausstieg der Schweiz forderten. Heute herrscht Krieg in der Ukraine. Nun sind es bürgerliche Politiker, die augenblicklich wissen, welche Folgerungen aus der Katastrophe zu ziehen sind: Aufrüstung, mehr Geld für die Armee.

Diese Woche haben Exponenten von SVP, FDP und Mitte in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats Nägel mit Köpfen gemacht: Mit einem Vorstoss verlangen sie eine schrittweise Erhöhung des Militärbudgets ab 2023. Ende des Jahrzehnts sollen die Ausgaben «mindestens» 1 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) betragen. Gemessen am heutigen BIP wären das 7 Milliarden Franken, fast 2 Milliarden mehr, als der Bund zurzeit für die Armee ausgibt.

Genaugenommen fordern die Bürgerlichen damit eine Erhöhung der Erhöhung. Dass das Armeebudget wieder stärker wachsen soll, ist bereits beschlossene Sache. Zumindest im bürgerlichen Teil von Bundesbern herrscht mittlerweile Einigkeit, dass die Schweiz sich keine weiteren Friedensdividenden genehmigen sollte.

Mehr für die AHV, weniger für die Armee

Das war nicht immer so. Lange hat sich der Bundesrat beim Militär als Rappenspalter aufgeführt. Auch wenn in der Politik andauernd vom «Sparen» die Rede ist: Der einzige Bereich, in dem der Bund wirklich gespart hat, ist die Landesverteidigung. Dies zeigt ein Vergleich von 1990 bis 2020: Insgesamt haben sich die Ausgaben mehr als verdoppelt (Faktor 2,3). Speziell stark stiegen namentlich die Ausgaben für die soziale Wohlfahrt (Stichwort: AHV).

In die Landesverteidigung hingegen fliesst noch heute weniger Geld als 1990, obwohl seither eine Teuerung von 30 Prozent aufgelaufen ist. Ermöglicht haben dies diverse Reformen. Unter anderem sank der Sollbestand von 625 000 auf 100 000 Mann. Zudem musste das Verteidigungsdepartement (VBS) nach der Jahrtausendwende über 2000 Stellen abbauen. Zwischen 1990 und 2010 sank das Armeebudget von 5,6 auf 4,3 Milliarden Franken.

Die Trendwende kam im letzten Jahrzehnt. Ab 2011 pochte das Parlament zunehmend ungeduldig auf einen höheren Etat für die Verteidigung. Nach einem zähen Machtkampf musste der Bundesrat einlenken. Inzwischen hat die Aufholjagd begonnen: Seit 2015 hat der Bund die jährlichen Ausgaben von 4,3 auf 5,3 Milliarden Franken erhöht. Damit ist das Militärbudget sogar etwas schneller gewachsen als die Gesamtausgaben.

Wichtige Kosten fehlen

So soll es auch weitergehen. Der Bundesrat plant bis 2028 bei der Armee ein reales Wachstum von 1,4 Prozent pro Jahr. Dies genüge, um nebst den neuen Kampfjets auch die Erneuerung der Bodentruppen zu finanzieren.

Den bürgerlichen Sicherheitspolitikern jedoch genügt dies nicht. Auf den ersten Blick erscheint ihre Forderung, die Schweiz solle 1 Prozent des BIP für die Armee ausgeben, relativ bescheiden. Für die Nato-Staaten liegt die Zielgrösse bei 2 Prozent. Nach den jüngsten Daten erfüllen zwar nur 10 der 30 Mitgliedsländer diese Quote. Abgesehen von Luxemburg weisen aber sämtliche Nato-Staaten höhere Werte auf als die Schweiz. Diese gibt laut der einschlägigen Datenbank des Stockholmer Forschungszentrums für den Frieden (Sipri) 0,8 Prozent des BIP aus.

Gemessen an der Wirtschaftsleistung sind die Schweizer Armeeausgaben relativ gering

Militärausgaben 2020 in der Schweiz, ihren Nachbarländern und den Benelux-Staaten, in Prozent des BIP

Doch das will nicht viel heissen. Internationale Vergleiche in dieser Sache hinken. Die Sipri-Forscher weisen selber auf Lücken in den Daten hin. Gerade im Fall der Schweiz fehlen relevante Posten. So gehört es zur Tradition der Wehrpflicht, dass der «Lohn» der Soldaten nicht direkt aus der Bundeskasse bezahlt wird, sondern über die Erwerbsersatzordnung: eine Sozialversicherung, die mit Lohnbeiträgen finanziert wird. Sie hat den Dienstpflichtigen in den letzten Jahren zwischen 570 und 620 Millionen Franken überwiesen; ein kleiner Teil davon entfiel auf den Zivilschutz.

Und das ist nicht alles. Hinzu kommen Zahlungen der Arbeitgeber mit dem Ziel, Lohneinbussen zu verhindern. Laut Angaben des Bundesrats von 2011 geht es dabei um schätzungsweise 300 Millionen Franken im Jahr. Neuere Zahlen sind nicht verfügbar. Generell sind zur Frage einer Vollkostenrechnung der Landesverteidigung keine aktuellen Zahlen zu finden. 2012 hat das VBS eine gemäss Selbstdeklaration «ganzheitliche» volkswirtschaftliche Analyse präsentiert, die noch heute zitiert wird. Damals betrug das reguläre Armeebudget 4,3 Milliarden Franken. Die Vollkosten hingegen lagen laut dem Papier bei 7 bis 7,4 Milliarden.

Wie «teuer» sind die Abwesenheiten am Arbeitsplatz?

Die Differenz ist beträchtlich. Dazugerechnet werden müssen vor allem diese Elemente: Erwerbsersatz, Mieten und Pachten für Immobilien des VBS, Armeekosten der Gemeinden und Kantone sowie Wertschöpfungsverluste durch die Abwesenheiten am Arbeitsplatz. Der letzte Punkt war seinerzeit umstritten. Der Ökonom Reiner Eichenberger monierte, der eingesetzte Wert sei viel zu tief. Er veranschlagte die jährlichen Verluste auf 2,5 statt 1 Milliarde Franken. Die vollen Kosten der Armee lägen somit bei 8,5 bis 9 Milliarden im Jahr.

Eine andere Frage ist, ob das BIP der beste Bezugspunkt für einen Vergleich der Armeeausgaben ist. Eine naheliegende Alternative ist die Auswertung der Militärbudgets pro Einwohner.

Pro Kopf gibt die Schweiz für die Armee ähnlich viel aus wie Deutschland

Militärausgaben 2020 in der Schweiz, ihren Nachbarländern und den Benelux-Staaten, in Dollar pro Einwohner

Der Unterschied ist eklatant: In dieser Betrachtung gibt die Schweiz ähnlich viel für die Armee aus wie Deutschland und deutlich mehr als Österreich. Dies verdeutlicht, dass die Schweiz bei einem Vergleich auf der Basis des BIP auch deshalb so weit hinten rangiert, weil sie wirtschaftlich eine Grossmacht ist. Eine Anekdote illustriert die Problematik: In der Corona-Krise erlitten manche Länder eine kräftige Wirtschaftskrise – prompt konnte die Nato 2021 bekanntgeben, weitere Länder hätten das 2-Prozent-Ziel erreicht.

Verteilkampf im Bundeshaus

Politisch werden es keine Prozentrechnungen sein, die den Ausschlag geben. Entscheidend sind handfeste Interessen. Wenn das Armeebudget so stark erhöht werden soll, wie es die Sicherheitspolitiker verlangen, wird dies unweigerlich den Spardruck erhöhen. Ein Grossteil des Bundesbudgets ist jedoch kaum beeinflussbar, weil gewichtige Posten wie die Beiträge an die Sozialwerke oder die ganze Verkehrsfinanzierung gesetzlich gebunden sind.

Zu den stärker gefährdeten Bereichen gehören nebst der Armee zum Beispiel die Landwirtschaft sowie Bildung und Forschung. In diesen Sphären dürfte sich der Verteilkampf abspielen, ohne den eine weitere Erhöhung des Militärbudgets kaum möglich sein wird.