2500 Personen beschäftigt Bühler in Uzwil. Das Bild zeigt eine Lackierhalle für grosse Maschinenteile. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

2500 Personen beschäftigt Bühler in Uzwil. Das Bild zeigt eine Lackierhalle für grosse Maschinenteile. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Uzwil ist «Bühler-Land»

Die Entwicklung der St. Galler Gemeinde Uzwil ist eng mit dem Familienunternehmen Bühler verknüpft. Zwischen öffentlicher Hand und dem Weltkonzern stimmt offenbar die Balance – auch wenn der Erfolg Verkehrsprobleme mit sich bringt.

Giorgio V. Müller, Uzwil
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Ein Gemeindepräsident hat viele Aufgaben, ab und zu auch unerwartete. Der Gemeindepräsident der St. Galler Gemeinde Uzwil, Lucas Keel, hat dies im vergangenen Jahr am eigenen Leib erfahren. Als der passionierte Schwimmer im Schwimmbad seine Runden drehte, war plötzlich seine Hilfe gefragt. Er musste einen jungen Ingenieur aus Pakistan, der seit einiger Zeit am Hauptsitz des Technologiekonzerns Bühler arbeitete und das Schwimmbad besuchte, aber nicht schwimmen konnte, vor dem Ertrinken retten. Damit nicht genug: Der 48-jährige Keel nahm sich während der Sommerferien die Zeit, dem Geretteten das Schwimmen beizubringen, was ihm die Einladung zu dessen Hochzeit eintrug.

Auf enger Tuchfühlung

Ausländische Bühler-Mitarbeiter, die zu Ausbildungszwecken einige Monate im Ort wohnen, sind mit ein Grund, weshalb sich Uzwil rühmen kann, das Hotel mit der höchsten durchschnittlichen Aufenthaltsdauer in der Schweiz zu stellen, nämlich gut 4 Tage. Das am Bahnhof gelegene Viersternehotel gehört seit 1955 der Bühler-Familie. An ortsunkundige Gäste aus allen Herren Ländern hat sich die Bevölkerung gewöhnt, denn die kleine, von Adolf Bühler gegründete Giesserei ist zu einem globalen Konzern mit über 11 000 Mitarbeitern in über 140 Ländern aufgestiegen. Die Verarbeitung von Nahrungsmitteln steht im Fokus von Bühler. Wo immer Veranstaltungen stattfänden, sei gut spürbar, dass in Uzwil weitgereiste, weltoffene Bürger lebten, meint Keel.

Lucas Keel, Gemeindepräsident von Uzwil. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Lucas Keel, Gemeindepräsident von Uzwil. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

In der von Keel als vor allem «durchschnittlich» bezeichneten Gemeinde gibt es noch viele weitere Berührungspunkte mit dem Bühler-Konzern. Mit rund 2500 Stellen ist er der mit Abstand grösste Arbeitgeber in Uzwil. Ende 2017 wohnten dort 12 687 Personen, knapp 28% davon Ausländer. Keel, der einer von zwei vollamtlichen Behördenvertretern im siebenköpfigen Gemeinderat ist, kann fast nur Gutes über den dominierenden Arbeitgeber erzählen. Gemeinde und Firma würden auf Augenhöhe verkehren, «man kennt sich», sagt er im Gespräch. Patron Urs Bühler sei für ihn gut erreichbar, und auch mit den anderen Konzernleitungsmitgliedern herrsche ein unverkrampfter Austausch, zum Beispiel mit dem Personalchef, wenn es um Themen wie Ausbildung, Parkplätze oder die Kinderbetreuung gehe.

Mittlerweile haben die drei Töchter von Urs Bühler Einsitz im Verwaltungsrat des Familienunternehmens genommen. Auch sie seien, wie die Geschäftsleitung, für die Öffentlichkeit gut sichtbar, sagt Keel. «We are family» sei eine Haltung Bühlers, die so gelebt werde. Bei der Lehrabschlussfeier – Bühler bietet weltweit 400 Ausbildungsplätze an, 290 davon in der Schweiz – sind Bühler-Führungsverantwortliche selbstverständlich anwesend. Dies war auch der Fall, als Ende Juni die während 12 Jahren mit viel Aufwand restaurierte Dampflokomotive HG 4/4 sich auf den Weg ins Verkehrshaus Luzern machte. Es war ein grosses Spektakel für die lokale Bevölkerung.

Uzwil als Qualitätssiegel

Die Geschichte des Dorfs Uzwil ist eng mit der Industrialisierung und dem Aufkommen der Eisenbahn verwoben. Den industriellen Grundstein legte jedoch nicht Bühler, sondern Matthias Naef. Ab dem Jahr 1821 nutzte er die Wasserkraft der Uze für den Betrieb seiner Weberei. Als in der Hochblüte der Textilindustrie im Jahr 1846 der Industrielle Naef verstarb, beschäftigte sein Unternehmen bis zu 3000 Leute, unter ihnen viele Heimarbeiterinnen. Infolge des Niedergangs der Schweizer Textilindustrie wurde die Matthias Naef & Cie. 1910 verkauft, und 1911 musste der Spinnereibetrieb eingestellt werden.

Uzwil entstand erst im Jahr 1856. Drei Jahre später liessen sich Heinrich, Jakob und Ulrich Benninger im damals noch ländlich geprägten Dorf nieder, und alsbald gründeten sie eine mechanische Werkstätte für Webstühle. Die Gebrüder Benninger sind Uzwil immer treu geblieben, wenn auch die Zahl der Stellen nicht mehr so hoch wie früher ist. Im Bereich Textil beschäftigt die Maschinenfirma Benninger heute vor Ort noch 145 Mitarbeiter; in der Giesserei sind weitere 110 Personen tätig.

Rund 2500 der insgesamt gut 11 000 Mitarbeiter des Anlagenbauers Bühler arbeiten am Uzwiler Hauptsitz (im Bild: Rohre für die Produktion von Filtern).(Bild: Nathalie Taiana / NZZ)
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Die grossen Teile der Anlagen für die Verarbeitung von Nahrungs- und Futtermittel werden im eigenen Werk lackiert.(Bild: Nathalie Taiana / NZZ)
Walzanlagen von Bühler kommen bei der Herstellung von Schokoladenmasse zum Einsatz.(Bild: Nathalie Taiana / NZZ)
Die Uzwiler Fabrik ist eine der 28 Produktionsstandorte der global tätigen Industrie-Gruppe. Anfang 2019 kommt am Hauptsitz ein modernes Innovationszentrum hinzu. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)
Der 48jährige Lucas Keel ist seit Anfang 2012 Gemeindepräsident von Uzwil.(Bild: Nathalie Taiana / NZZ) Zum Artikel; weitere Bildstrecken

Rund 2500 der insgesamt gut 11 000 Mitarbeiter des Anlagenbauers Bühler arbeiten am Uzwiler Hauptsitz (im Bild: Rohre für die Produktion von Filtern).
(Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Auch die Anfänge der Firma Bühler reichen in diese Zeit zurück. Adolf Bühler kaufte den Benningers 1860 ein Grundstück ab und betrieb mit drei Mitarbeitern eine kleine Giesserei; der Giessereibetrieb wurde 1955 eingestellt. Ab 1870 stellte Bühler Strickmaschinen her. Schon 1863 gründeten die beiden Firmen eine gemeinsame Krankenkasse. Im Jahr 1891 wurde die tägliche Arbeitszeit von elf auf zehn Stunden reduziert, und ab 1906 musste am Samstagnachmittag nicht mehr gearbeitet werden. Trotzdem standen die Maschinen Anfang des 20. Jahrhunderts sowohl bei Bühler wie auch bei Benninger während Tagen still. 1901 streikten 110 Arbeiter bei Benninger während neun Wochen. Mit dem Bau von Arbeiterwohnheimen und einer Badeanstalt versuchte Bühler, die Lebensumstände seiner Mitarbeiter zu verbessern.

Heute ist die Bühler-Gruppe ein global tätiger Experte zum Bau von Anlagen für die Verarbeitung von Nahrungs- und Futtermitteln. Er ist zudem in der Oberflächenbehandlung und im Druckguss-Geschäft aktiv. Weil in der Industrie international die Bezeichnung «Uzwil» gemeinhin als Synonym für Qualität gilt, ist 1962 auf Anraten Bühlers sogar die Ortsbezeichnung von Henau auf Uzwil geändert worden.

Gute Verkehrsanbindung

Verkehrstechnisch ist Uzwil im Urteil des Gemeindepräsidenten «perfekt gelegen». Ab Dezember wird es sogar noch besser, wenn eine halbstündige Fernverkehrsverbindung auf den Strecken Lausanne–St. Gallen und Basel–Chur über Uzwil und den Flughafen führen wird. Mit der Eisenbahn ist der Flughafen Zürich in 40 Minuten erreichbar, die Stadt Zürich in einer Stunde und St. Gallen in 17 Minuten. Entsprechend gross ist das Einzugsgebiet, aus dem die in Uzwil arbeitenden Arbeitskräfte kommen.

Dennoch reicht das nicht aus, um den gesamten Berufsverkehr reibungslos abzuwickeln. Das Nadelöhr ist die Augarten-Kreuzung in Uzwil, wo zu Stosszeiten der Verkehr regelmässig zusammenbricht. Die gut 1000 Parkplätze auf dem Firmengelände von Bühler genügen nicht, um den Bedarf der Mitarbeiter zu decken. Einige von ihnen müssen auf öffentliche Parkplätze ausweichen. Neben Berufsbildung und Raumplanung bezeichnet Keel denn auch Mobilität als eine seiner derzeit dringendsten Aufgaben.

Entspannt verfolgt Keel die Debatte um die Reform der Unternehmensbesteuerung. «Für uns macht sie nur etwa 7% aller Steuererträge aus», sagt er. Viel wichtiger findet der Gemeindepräsident, dass die Unternehmen in Ausbildung und Forschung investieren und dass 500 bis 800 Mitarbeiter Bühlers in der Gemeinde Steuern zahlen. Eine der drei Bühler-Töchter habe in Uzwil ihren Wohnsitz. Alle Einwohner zusammen bestreiten 80% des Steueraufkommens.

Keine Sonderbehandlung

Den zurzeit niedrigen Selbstfinanzierungsgrad begründet Keel mit der Ballung kostspieliger Infrastrukturprojekte. Rund 35 Mio. Fr. werden ins Seniorenheim investiert, 5,6 Mio. Fr. kosten die Sportanlagen. Trotz steigender Verschuldung wurde der Steuerfuss 2018 von 140% auf 133% gesenkt. Innerhalb von zwei Jahren kürzte die Gemeinde den Steuerfuss für natürliche Personen um 12 Prozentpunkte. Steigende Steuererträge aus Handänderungs- und Grundstückgewinnen schlossen bisher die Lücke. Die grosszügig bemessene Infrastruktur («wir allein könnten doppelt so gross sein») dient der ganzen Region. Deshalb laufen derzeit Gespräche unter den Gemeinden, wie die Finanzierung fairer gestaltet werden könne.

Der Gemeindepräsident, der seit Ende 2017 in einem hochwertigen Neubau residiert, ist mit der wirtschaftlichen Verfassung seines Gebiets zufrieden. Zuvor waren die verschiedenen Ämter auf fünf Standorte verteilt. Es herrsche fast Vollbeschäftigung, und auch die Lage beim Sozialamt bereite ihm derzeit keine Sorgen, sagt der CVP-Mann. Eher müsse er etwas auf die Bremse treten, Qualität soll vor Wachstum stehen. Theoretisch könnten noch bis 25 Hektaren Bauland eingezont werden. «Aber das machen wir nicht, wir setzen auf eine gute Innenentwicklung», sagt Keel. Die Gemeinde ist deshalb involviert, wenn Bühlers Immobiliengesellschaft, die Uze AG, in Etappen 300 Wohnungen bauen will und weitere Bauprojekte vorantreibt.

Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung Uzwils sei er mit einer Firma in Verhandlung, die gut 100 neue Stellen schaffen wolle, sagt Keel. Trotz dem grossen Stellenwert, den Bühler für Uzwil hat, sei die Gemeinde dem Unternehmen nicht ausgeliefert. Die Familie Bühler wünsche «keine Sonderbehandlung».