Horst Bendix hat Streit mit seiner Frau. Wegen des Windrads, natürlich. Seine Frau will, dass er Zeit mit den Enkeln verbringt. Aber er hat nur sein Windrad im Kopf. Seit Jahren geht das schon so. "Meine Frau schätzt das nicht", sagt Bendix. "Und jetzt hängt der Haussegen schief."

Ein Neubaugebiet in Leipzig, geklinkerte Einfamilienhäuser, gepflegte Vorgärten. An einem Sommertag sitzt Horst Bendix in seinem Arbeitszimmer, er trägt eine Strickweste, die Füße stecken in Lederpantoffeln. Bendix hat in dem niedrigen Raum sein gesamtes Windradwissen gesammelt: zusammengerollte Zeichnungen, Briefwechsel. Hunderte Seiten Papier, fein säuberlich abgeheftet in Aktenordnern. In der Ecke lehnt Bendix’ Gehstock. Seine Beine wollen nicht mehr so wie er – Diabetes. Das ärgert ihn, aber was will er machen?

Bendix ist 91 Jahre alt.

Viel wurde in den vergangenen Monaten über die Energiewende gestritten: darüber, wo all der grüne Strom für Autos, Fabriken und Heizungen herkommen soll. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck will das Tempo des Windkraftausbaus vervielfachen. Aber wie soll das gehen?

Horst Bendix hat da eine Idee. Seit zwölf Jahren hat sich der promovierte Maschinenbauingenieur dem Wind verschrieben. Herausgekommen ist eine Konstruktion, die mit allen Gesetzen der Branche bricht. Und von der Experten sagen, dass sie die Windkraft revolutionieren könnte. Es wäre der Beweis, dass ein Einzelner sehr wohl etwas gegen den Klimawandel bewirken kann. Selbst wenn er 91 ist und taube Beine hat.

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Bendix nimmt seinen Gehstock und schlappt rüber ins Wohnzimmer. Weil sein Schreibtisch zu klein sei, habe er hier oft auf dem Boden gelegen und seine Pläne gezeichnet, erzählt er. Dann tritt er durch die Terrassentür in den Wintergarten. Neben einem Gartentisch mit geblümter Wachsdecke steht es: ein Modell seines Windrads, so groß wie er selbst.

Ein normales Windrad sieht aus wie ein Bleistift: ein langer Turm aus Stahlbeton, an der Spitze der Rotor mit drei Blättern. Das Windrad von Bendix mit seinen drei dünnen Beinchen könnte man dagegen für ein übergroßes Fotostativ halten. Oben, an der Nabe, hängt auch keine Gondel mit den Maschinen. In Bendix’ Konstruktion befindet sich der Generator am Boden. Ein Riemen überträgt die Kraft von den Rotorblättern dorthin, ähnlich wie beim Keilriemen im Auto.

Und: Bendix’ Windrad – das ist der entscheidende Unterschied – soll riesig sein, 250 Meter vom Boden bis zur Nabe. Gut hundert Meter höher also als die meisten Windräder, die heute an Land gebaut werden. In 200, 300 oder 400 Metern Höhe weht der Wind viel stärker und beständiger als weiter unten, weil weder Siedlungen noch Wälder ihn bremsen.

Der Konstrukteur glaubt, dass sein Windrad eine Leistung von zehn Megawatt haben wird – doppelt so viel wie ein normales Windrad an Land.

Wenn Bendix erklären soll, wie er zum Wind kam, landet er schnell bei seinem Lebensprinzip, dem er schon immer alles unterordnete: "Ungelöste Probleme müssen gelöst werden." Er könne nicht anders, sagt Bendix mit seiner sehr hohen, sehr heiseren Stimme. Wenn er irgendwo ein Problem entdecke, müsse er es lösen.

Es ist sein Lebensthema

Bendix hat sein halbes Leben in der DDR verbracht. Als talentierter und ehrgeiziger Ingenieur brachte er es bis zum Chefkonstrukteur des Kirow-Werks in Leipzig, eines über die Grenzen der DDR hinaus angesehenen Spezialisten für Kräne. "Ich war ein junger Mann, der etwas werden wollte", sagt er über diese Zeit. Und ja, er sei auch in der SED gewesen, "weil ich wollte, dass Frieden im Land herrscht".

Jahrzehntelang löste Bendix technische Probleme der Deutschen Demokratischen Republik. Kleine – er erfand eine zusammenfaltbare Garage, weil er für seinen Wartburg keinen Unterstand fand. Und große – als Ende der Sechzigerjahre der Ostberliner Fernsehturm erstand, konstruierte Bendix einen Kran, um die Bauteile nach oben zu hieven. 60 Wirtschaftspatente will Bendix in seinem Leben angemeldet haben. 1995 ging er in Rente.

Vor zwölf Jahren stieß Bendix auf ein neues Problem, das bald zu seinem Lebensthema wurde: "Ich habe mir die Aufgabe gestellt, die Windkraft zu verbessern."

In einem Fachartikel eines Professors für Meteorologie, der ihm zufällig in die Hände geriet, hatte Bendix von der Kraft des Höhenwinds gelesen. Der Artikel brachte ihn auf eine einfache, aber bestechende Idee: Warum Windräder nicht einfach höher bauen und so den Wind nutzen, der weiter oben weht?

Jahrelang arbeitete Bendix allein in seinem Arbeitszimmer. Seine Tage sahen immer gleich aus: Um neun Uhr setzte er sich an den Schreibtisch und dachte über sein Windrad nach. Mittags rief ihn seine Frau zum Essen. Am Nachmittag ging es weiter. Und selbst abends, wenn seine Frau einen Film schaute, nahm er seine Hörgeräte raus und dachte weiter über das Windrad nach.

Er fuhr nicht in den Urlaub.

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Er riskierte Streit mit seiner Frau.

Auch zwei Schlaganfälle stoppten ihn nicht. Seine Ideen hielt Bendix in einem kleinen blauen Buch fest. Die Pläne zeichnete er von Hand, nicht wie heute üblich am Computer.

Bendix ist kein Klimaaktivist. Er findet es zwar gut, dass junge Leute fürs Klima demonstrieren, er lobt Greta Thunberg. "Ideologisch unterstütze ich das voll", sagt er. Es könne nicht sein, dass die Menschen jedes Jahr mit dem Flugzeug verreisten und ohne Ende konsumierten.

Aber Bendix macht der Klimawandel keine Angst. Er betrachtet ihn aus Sicht eines Ingenieurs. Er ist für ihn nur ein weiteres Problem, das gelöst werden muss. Und gelöst werden kann.

Auch an diesem Morgen hat Bendix schon E-Mails von seinem Computer verschickt, obwohl er das Ding hasst. Die Redakteurin eines Fachmagazins für erneuerbare Energien wollte etwas von ihm. Bendix ist heute ein gefragter Mann.