Verkäuferin Barbara G. müsste sechs Self­scanning-Kassen gleich­zeitig überwachen

Tohuwabohu an der Selfscanning-Kasse

Christian Egg

Rund jeder dritte Artikel, der bei Coop und Migros über den Ladentisch geht, wird nicht mehr von Personal gescannt, sondern von der Kundin, dem Kunden selber. Die Angestellten ­müssen den Vorgang nur noch überwachen. Aber genau das ist Stress pur, sagt Kassierin Barbara G.*

DAS KOMMT MIR NICHT IN DIE TÜTE: Verkäuferinnen und Verkäufer müssen an den Selfscanning-Kassen schauen, dass niemand etwas stiehlt. Fotos: (Matthias Luggen)

«Am schlimmsten ist es über Mittag. Da kommen bei uns immer eine Horde Schülerinnen und Schüler und kaufen ihr Zmittag. Eine halbe Stunde ist der Laden pumpvoll, es wird gedrängelt und geschubst. Und sie gehen an die Selfscanning-Kassen, weil es schneller geht.

Wenn ich dort eingeteilt bin, muss ich aufpassen, dass sie nichts stehlen. Es ist klar, diese Kassen laden viel mehr zum Stehlen ein als die traditionellen Ladenkassen. Man kann zum Beispiel so tun, als scanne man den Artikel, ihn aber mit dem Strichcode nach oben über den Scanner ziehen. Dann wird er nicht registriert. Wir haben sechs solche Kassen. Wenn alle besetzt sind, müsste ich also an sechs Orten gleichzeitig kontrollieren. Das geht gar nicht.

ÜBERALL. Sicher reklamiert genau dann eine Kundin, weil die Kasse nicht erkannt hat, dass Mangos Aktion sind. Oder das System löst bei einem Kunden eine Stichprobe aus, dann muss ich kontrollieren, ob er alles gescannt hat. Und ich muss seinen ganzen Einkauf scannen und sehe nicht, was rundherum geschieht. Bei den Schülern war es oft so, dass sie zu zweit oder zu dritt vor einer Kasse standen. Dann sehe ich nicht mehr auf den Bildschirm und habe keine Chance zu bemerken, wenn einer ­‹bschiisst›. Darum setzen wir jetzt durch, dass nur immer einer an eine Kasse darf. Wir haben auch dafür gekämpft, dass in der Stosszeit über Mittag immer zwei Leute beim Selfscanning aufpassen. Das hilft.

Sechs bis sieben Stunden stehen und nur 15 Minuten Pause.

KNOPF. Wenn ich einen Diebstahl bemerke, gehe ich nicht mehr hin und mache die Person darauf aufmerksam. Sondern wir haben einen Knopf, mit dem wir eine Stichprobe an einer Kasse auslösen können. Dann kann ich sagen: Schauen Sie, das System hat eine Stichprobe angeordnet. So gehe ich Problemen aus dem Weg.

Wenn ein Diebstahl vorkommt, wird bei uns zum Glück nicht das Personal verantwortlich gemacht. Trotzdem will ich, wenn immer möglich, Diebstähle verhindern. Denn im grossen und ganzen stehe ich hinter meinem Arbeitgeber, da will ich mich auch mit Herzblut für die Firma einsetzen. Wenn sie zu viel Verlust macht, habe ich irgendwann keinen Job mehr.
Ein beliebter Trick ist zum Beispiel, ein Schoggigipfeli zu nehmen, an der Kasse aber ein normales Gipfeli einzugeben. Die Schülerinnen und Schüler machen das oft. Das ist nicht nur Beschiss, sondern beschert uns noch ein anderes Problem. Weil das System automatisch eine Bestellung auslöst, wenn ein Artikel knapp wird. Dann haben wir plötzlich viel zu viele Gipfeli im Laden, aber keine Schoggigipfel mehr. Und wer muss das dann korrigieren? Wir natürlich.

PUTZEN. Klar, es gibt auch Zeiten, in denen nicht viel los ist im Laden. Dann muss ich die Einkaufskörbe versorgen, die Kassen putzen, Besteck auffüllen und die Kaffeemaschine reinigen. Und wenn all das gemacht ist, muss ich trotzdem die ganze Zeit bei den Kassen stehen für den Fall, dass jemand kommt. Eigentlich kann ich nicht einmal eine WC-Pause machen. Zum Glück haben wir das jetzt so eingerichtet, dass ich mit meinem Funktelefon jemanden rufen kann, der mich ablöst. Eine Schicht an den Selfscanning-Kassen geht normalerweise sechs bis sieben Stunden, mit 15 Minuten Pause. Eine 62jährige Kassierin, die das nicht gewohnt ist, schafft das nicht. Deshalb preicht’s uns Jüngere umso öfter. Aber auch bei uns geht das in die Beine und in den Rücken, so lange auf den Füssen zu sein. Eine junge Kollegin musste kürzlich sogar 12 Stunden am Stück bei den Selfscanning-Kassen aufpassen. Gegen Schluss sagte sie mir: Du, ich seh’s nicht mehr. Diese ständige Aufmerksamkeit an mehreren Orten gleichzeitig, das schafft man gar nicht so lange.»

Aufgezeichnet von Christian Egg

* Name der Redaktion bekannt.

Self-Scanning: Studie soll Licht ins Dunkel bringen

(Foto: Keystone)

Bei Migros und Coop gehören Self­scanning-Kassen heute schon fast zum Standard. Auch andere Ketten wie Manor oder Ikea setzen auf die Technologie. Über 4000 solche Terminals gibt es derzeit in der Schweiz. Tendenz steigend. Weil die Kundinnen und Kunden immer öfter die gekauften Artikel selber scannen, braucht es immer weniger klassisches Kassenpersonal.

ERSTE ERKENNTNISSE. Doch wie ver­ändert diese schleichende Revolution den Alltag der Verkäuferinnen und Verkäufer? Darüber gibt es heute kaum ­Angaben. Das will die Unia ändern. Sie hat deshalb die erste wissenschaft­liche Studie zum Thema in Auftrag ge­geben. Download der Studie

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.