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Bitcoin-Experte "Das Bitcoin-System verbraucht mehr Strom als die Schweizer Volkswirtschaft"

Bei der Produktion eines Bitcoins geht so viel Strom drauf, wie eine Familie in zwölf Jahren verbraucht - Tendenz steigend. Ökonom Alex de Vries über die verheerenden Folgen der Kryptowährung für das Klima.
Virtuelle Währung Bitcoin (Symbolbild)

Virtuelle Währung Bitcoin (Symbolbild)

Foto: Dado Ruvic/ REUTERS

Der niederländische Ökonom und Blockchain-Experte Alex de Vries sorgt für Furore in der Energie- und Umweltszene. Seine Studie, die gerade im Fachmagazin "Joule" erschienen ist und von unabhängigen Gutachtern geprüft wurde, zeigt, welch gigantische Mengen Energie die Produktion und Verwaltung der Digitalwährung Bitcoin verschlingt. Laut de Vries hat das Bitcoin-System schon jetzt einen höheren Energiebedarf als viele Staaten.

Beim "Schürfen", dem Erzeugen von Bitcoins, lösen Rechner im Wettstreit komplexe Rechenaufgaben. Wer das als erster schafft und einen neuen Block erzeugt, in dem neue Bitcoin-Transaktionen gespeichert werden, wird dafür mit Bitcoins belohnt. Je mehr Rechenpower an diesem Prozess beteiligt ist, umso komplexer werden die Rechnungen.

Angesichts der Vervielfachung des Bitcoin-Preises in den vergangenen Jahren wächst die eingesetzte Rechenleistung exponentiell. Schürften in der Anfangszeit noch Normalverbraucher mit ihren Heim-PCs mit, dominieren heute professionelle Betreiber von Serverfarmen das Geschäft. Sie setzen Hunderttausende Hochleistungsprozessoren (Miner) ein, die auf das Schürfen von Bitcoins spezialisiert sind.

Zur Person
Foto: Privat

Alex de Vries, 28, arbeitet für PricewaterhouseCoopers und schreibt im Blog Digiconomist  über den Energieverbrauch dieser Maschinen. Deren Stromkonsum hat sich laut seinem Bitcoin Energy Consumption Index seit Anfang 2017 versiebenfacht.

SPIEGEL ONLINE: Sie machen vielen Menschen Angst. Laut Ihrer Studie ist das Bitcoin-Netzwerk ein unersättlicher Energiefresser.

De Vries: Manchmal bin ich selbst schockiert, obwohl ich das Problem schon länger kenne. Der Energiebedarf des Bitcoin-Systems ist atemberaubend. Zurzeit verbraucht es etwa 67 Terawattstunden pro Jahr. Das ist mehr Strom, als die ganze Schweizer Volkswirtschaft benötigt: 0,3 Prozent des weltweiten Konsums. Und es wird immer extremer. Bis zum Jahresende könnte der Anteil auf ein halbes Prozent wachsen. Das wäre der Verbrauch von Österreich. Wahnsinn.

SPIEGEL ONLINE: Ein halbes Prozent, das klingt nicht nach so viel.

De Vries: Es ist eine gigantische Menge für ein System, das vor allem zur Finanzspekulation genutzt wird. Alle Solaranlagen weltweit erzeugten 2016 gut ein Prozent des globalen Strombedarfs. Der Bitcoin wird uns sicher nicht helfen, die Klimaziele zu erreichen.

SPIEGEL ONLINE: Stiftet der Bitcoin nicht auch Nutzen als alternatives Bezahlmittel?

De Vries: Im praktischen Leben kann man wenig damit anfangen. Die Transaktionskosten sind enorm hoch. Hätte man Ende 2017 einen 5-Dollar-Kaffee mit Bitcoin bezahlt, wären etwa 50 Dollar Kosten obendrauf gekommen. Das ist völlig ineffizient.

SPIEGEL ONLINE: Auch im Hinblick auf Energieeinsatz?

De Vries: Ein Zahlvorgang mit einer gewöhnlichen Kreditkarte verbraucht 1 bis 2 Wattstunden Strom, mit Bitcoin dagegen etwa 300 Kilowattstunden. Das entspricht dem monatlichen Stromverbrauch eines durchschnittlichen Haushaltes. Für eine einzige Transaktion! Dieses System, das so viel Energie frisst, wird für kaum etwas anderes benutzt als für Spekulation.

SPIEGEL ONLINE: Warum verschlingt eine virtuelle Währung denn so viel echten Strom?

De Vries: Wir erleben ein Wettrüsten der Bitcoin-Miner. Nur alle 10 Minuten wird ein Block mit 12,5 Bitcoins vergeben. Wenn man davon ein Stück abbekommen will, muss man die Rechnerleistung erhöhen. Und weil der Bitcoin-Preis so rapide gestiegen ist und mehr Geld winkt, haben viele Miner enorm aufgerüstet. Entsprechend schießt der Energieverbrauch hoch.

SPIEGEL ONLINE: Wieviel Elektrizität braucht man zurzeit, um einen Bitcoin zu schürfen?

De Vries: Etwa 42.000 Kilowattstunden - aber nur, falls effiziente Hochleistungscomputer mit guten Kühlsystemen eingesetzt werden. Sonst ist der Wert noch höher. Zum Vergleich: Ein Durchschnittshaushalt verbraucht im Jahr 3500 Kilowattstunden.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt: Für einen einzigen Bitcoin geht bereits jetzt so viel Strom drauf, wie eine Familie in zwölf Jahren konsumiert. Und die Erzeugung der Kryptowährung wird immer aufwendiger. Wie lange lohnt das eigentlich noch für die Schürfer?

De Vries: Wenn die Produktionskosten weiter so steigen, wird die Profitabilität bis Ende dieses Jahres so drastisch sinken, dass es sich kaum noch lohnt - vorausgesetzt: Ein Bitcoin kostet dann noch immer etwa 8000 Dollar. Alles hängt am Preis. Je teurer der Bitcoin wird, je mehr es zu verdienen gibt, desto mehr Rechenleistung werden die Miner einsetzen. Wenn der Preis entsprechend hochschießt, kann man nicht ausschließen, dass sich der Energieverbrauch noch einmal verzehnfacht.

SPIEGEL ONLINE: Neuerdings erschweren Staaten wie China, Südkorea oder Thailand den Handel mit Kryptowährungen oder verbieten ihn ganz.

De Vries: Das bringt nichts. Natürlich kann man bestimmte Bitcoin-Börsen schließen. Aber stattdessen würde dann umso mehr auf privaten Handelsplätzen, Schwarzmärkten oder Eins zu Eins gehandelt. Das ist wie ein löchriger Damm: Man stopft ihn an einer Stelle, aber das Wasser bahnt sich dann woanders seinen Weg. Bitcoin ist ein dezentrales Netzwerk. Es gibt keine Notenbank, keine Finanzaufsicht.

SPIEGEL ONLINE: In China und den USA haben die Behörden in einigen Regionen das Bitcoin-Mining zurückgedrängt oder komplett untersagt. Bringt das mehr?

De Vries: Diese Miner finden ganz schnell ein neues Zuhause. In den meisten Staaten ist das Mining unbeschränkt erlaubt. Wir bräuchten hier ein internationales Übereinkommen, am besten unter Führung der Uno. Davon sind wir weit entfernt.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Index ist die erste und bis heute bekannteste Referenzgröße für den Energieverbrauch des Bitcoin-Netzwerks. Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen?

De Vries: 2015 habe ich einen Artikel gelesen. Dort hieß es, dass eine einzige Bitcoin-Transaktion so viel Elektrizität verbraucht wie ein US-Haushalt in anderthalb Tagen. Das hat mich erschreckt - und neugierig gemacht. Bald kam die Idee, den weltweiten Verbrauch zu ermitteln, denn darüber gab es keine Zahlen.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie selbst denn überhaupt an diese Zahlen? Eine Serverfarm in der Inneren Mongolei wird Ihnen kaum ihre Stromrechnung zeigen.

De Vries: Es ist öffentlich bekannt, wie groß die gesamte Rechenleistung für Bitcoin-Mining ist - und wie viel Strom der effizienteste Prozessor, der auf dem Markt ist, bei einer bestimmten Rechenleistung verbraucht. Daraus lässt sich errechnen, wie groß der Energiebedarf des Systems mindestens sein muss. Auch aus den Einnahmen der Miner lässt sich ableiten, wie groß der Stromverbrauch ist. Natürlich basieren die Berechnungen auf Annahmen. So gehe ich davon aus, dass geschürft wird, um damit Gewinn zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Besitzen Sie selbst auch Bitcoins, um damit Geld zu verdienen?

De Vries: Nein, ich bin seit langem draußen. Ich könnte mental nicht mit dem extremen Auf-und-Ab fertig werden.

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