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Neue Formen der Stromerzeugung sollten sich technologisch statt an der Urne durchsetzen

Es führt kein Weg daran vorbei, möglichst bald mit der Planung von Gaskraftwerken zu beginnen. Das erhöht zwar den CO2-Ausstoss, aber in der kurzen Frist gibt es keine andere schnell verfügbare Variante.

Tobias Straumann 3 min
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Es ist absehbar, dass die umliegenden Länder in den Wintermonaten weniger Strom exportieren werden, weil sie ihr Energiesystem ebenfalls umbauen.

Es ist absehbar, dass die umliegenden Länder in den Wintermonaten weniger Strom exportieren werden, weil sie ihr Energiesystem ebenfalls umbauen.

Keystone

Sie mögen sich heftig bekämpft haben, aber in einem sind sich Befürworter und Gegner des CO2-Gesetzes einig: Die Energiestrategie, die vor vier Jahren an der Urne angenommen wurde, befindet sich in einer kritischen Phase.

Das Abstimmungsergebnis lässt sich aber auch anders interpretieren. Das Nein vom vergangenen Sonntag bestätigt lediglich, was sich seit längerem abgezeichnet hat. Neu ist nur, dass nun für alle sichtbar wurde, mit welch grossen Problemen der eingeschlagene energiepolitische Weg behaftet ist.

So kommt der Ausbau der Wind- und Solarenergie seit Jahren kaum vom Fleck. Heute beträgt der Beitrag zur Stromerzeugung lediglich 5%, und unser Stromverbrauch macht nur etwa ein Viertel unseres Gesamtenergieverbrauchs aus.

Dennoch wollen wir die Atomkraftwerke bald stilllegen und einen grossen Teil der fossilen Energie im Rekordtempo durch elektrische Energie ersetzen. Gleichzeitig ist absehbar, dass die umliegenden Länder in den Wintermonaten weniger Strom exportieren werden, weil sie ihr Energiesystem ebenfalls umbauen.

Die Rechnung wird nicht aufgehen

Selbst bei den rosigsten Prognosen ist klar: Die Rechnung wird bis 2030 nicht aufgehen. Es ist deshalb Zeit, ehrlich darüber zu reden, was in den nächsten Jahren realistisch ist und was nicht.

Dabei sollte unsere fundamentale Unwissenheit im Zentrum stehen, weil sie uns davor bewahrt, den Korridor der künftigen Entwicklung allzu eng abzustecken und Überraschungen von vorneherein zu verunmöglichen.

So ist der Ausbau der Solar- und Windenergie willkommen. Aber diese jetzt schon als Hauptträger der künftigen Energieversorgung festzulegen, schliesst andere, heute noch unbekannte Innovationen aus. Sie könnten noch alles über den Haufen werfen.

Denken wir an das 19. Jahrhundert, als die Kohle alles dominierte – mit all ihren gesundheitsschädlichen Folgen. Noch um 1850 konnte niemand voraussehen, dass wenige Jahrzehnte später eine saubere und völlig überlegene Energie am Horizont auftauchen würde. Die Elektrizität löste die vielen Probleme der Kohlewirtschaft und führte zu einem ungeheuren Innovationsschub.

Unsere Unwissenheit verbietet es auch, bestehende Technologien ein für allemal auszuschliessen. Die heutigen Atomkraftwerke bergen zweifellos Risiken, aber jetzt schon zu sagen, dass wir den künftigen technologischen Fortschritt in diesem Bereich gar nicht mehr abwarten wollen, bringt uns um Optionen, die wir möglicherweise einmal gut gebrauchen können, wenn es um die weitere Reduktion des CO2-Ausstosses geht.

Es wäre im Übrigen auch ein absolutes Novum in der Schweizer Geschichte, wenn wir eine bestimmte Form der Energieerzeugung permanent verbieten würden. Die neuen Formen der Energieerzeugung sollten sich durchsetzen, weil sie wirklich besser sind, nicht weil wir uns an der Urne für sie entschieden haben.

Unwissenheit beflügelt zudem die Neugierde, die von entscheidender Bedeutung ist, wenn es darum geht, erfolgversprechende Experimente in anderen Ländern ausfindig zu machen. Seit einigen Jahrzehnten arbeiten auf der ganzen Welt Millionen von Menschen daran, neue Wege in der Energieversorgung zu finden.

Es sind schon grosse Fortschritte erzielt worden. An vielen verschiedenen Orten werden modellhafte Lösungen gefunden werden, die sich schnell verbreiten, sobald sie sich im Kleinen bewährt haben.

Auch in Schweizer Unternehmen und an Hochschulen ist viel von diesem Pioniergeist und der Freude am Austausch zu spüren. In der Schweizer Politik ist hingegen das Bedürfnis wenig ausgeprägt, von erfolgreichen ausländischen Modellen zu lernen – und das nicht nur in der Energiepolitik.

Stromlücke in den Wintermonaten

Schliesslich gehört zu einer ehrlichen Diskussion, darüber zu reden, wie wir sicherstellen wollen, dass auch in zehn Jahren genügend einheimischer Strom vorhanden sein wird. Dass sich die Warnungen vor einer baldigen Stromlücke in den Wintermonaten als übertrieben herausstellen, mag ja sein. Doch wäre es fahrlässig, einfach abzuwarten und erst dann zu reagieren, wenn die Stromlücke tatsächlich eintritt.

Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, möglichst bald mit der Planung von Gaskraftwerken zu beginnen. Das erhöht zwar den CO2-Ausstoss, aber in der kurzen Frist gibt es keine andere schnell verfügbare Variante.

Der Umbau des globalen Energiesystems zur Reduktion der Treibhausgase ist ein einmaliges historisches Experiment mit ungewissem Ausgang. Es kann nur gelingen, wenn die Balance zwischen dem Wünschbaren und dem Machbaren gewahrt bleibt.

Tobias Straumann ist Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich.