Millionenschwerer Schmierenskandal im EU-Parlament

Katars linke Lautsprecher

Jonas Komposch

Sie horteten Säcke voller Geld und ergriffen mit prallen ­Koffern die Flucht. Wer sind die Politgrössen im Brüsseler Korruptionskarussell?

KNAST STATT PRUNK: Im November sass EU-Vizepräsidentin Eva Kaili bei Katars Arbeitsminister – und jetzt wegen Bestechung im Brüsseler Hochsicherheitsgefängnis. (Foto: Twitter)

Ob Marokko-Hype oder Messi-Auftritt – in Stammtischgesprächen über die WM hätte zuletzt schon fast das Thema Fussball dominiert. Doch mitten in den Viertelfinals (und nach Belgiens WM-Aus) holte die belgische Staatsanwaltschaft zum Konter aus. Seither dreht sich alles wieder ums Wesentliche dieses Sportspektakels: Politik, Macht und Geld. Belgiens Justiz teilte mit: «Ein Golfstaat» habe versucht, Mitglieder des EU-­Parlaments durch «Zahlung von grossen Geldsummen» zu beeinflussen. Schnell war klar: Es handelt sich um den grössten Kor­ruptions­skandal in der Geschichte des EU-Parlaments! Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, bandenmässige Korruption sowie Geldwäsche – so lauten die mutmasslichen Tatbestände.

In 16 Liegenschaften hatte die Polizei Raz­zien durchgeführt, dabei sieben Personen verhaftet und über eine Million Euro konfisziert – in Cash notabene! Allein im Tresor von Antonio Panzeri (67), dem Hauptverdächtigen, fanden die Ermittler 600000 Euro. Gleichentags nahmen Carabinieri in Bergamo auch seine Frau und seine Tochter fest. Bei ­ihnen fand man 17 000 Euro. Das sei «nicht viel für eine wohlhabende Familie», protestierte ihr Anwalt.

Sozialdemoktarin Eva Kaili verkehrte gerne in gehobenen Kreisen.

DIE ITALO-CONNECTION

Acht Jahre war Antonio Panzeri Chef des Mailänder Ortsverbands der CGIL, Italiens grösster Gewerkschaft. 2004 zog er für die italienischen Sozialdemokraten ins EU-Parlament, ­­wo er bis 2019 wirkte. Dann übernahm er die Führung von Fight Impunity, einer Menschenrechts­organisation, die von Brüssel aus gegen Straflosigkeit kämpft. Zumindest angeblich. Denn allem Anschein nach diente die NGO selbst dem Verbrechen. Konkret: dem Schmieren von potentiell kritischen EU-Grössen im Dienste Katars. Das zumindest vermutet die belgische Justiz. Aber auch Luca Visentini (53), frischgewählter Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB). Auch er wurde im Zuge der Razzia verhaftet, aber nach einer Befragung tags darauf wieder freigelassen (siehe Box). Hingegen noch in Gewahrsam sitzen zwei Assistenten von Abgeordneten des italienischen Partito Democratico. Und auch Francesco Giorgi (35) sass bei work-Redaktionsschluss am 14. Dezember noch hinter Gittern. Er ist Panzeris einstiger Mitarbeiter und Gründer von Fight Impunity. Im EU-Parlament verkehrt Giorgi als Berater der sozialdemokratischen Fraktion. Dort hatte der Hobbysegler und Sonnyboy auch seine Lebenspartnerin kennengelernt: die Griechin Eva Kaili (44).

DIE JETSET-GRIECHIN

Erst im Januar ist die frühere TV-Moderatorin zur Parlamentsvizepräsidentin aufgestiegen. Nach Brüssel war sie aber schon 2014 gezogen – und zwar für die Pasok, also jene rechts-sozialdemokratische Partei, die Griechenland auf Verlangen der EU und des Währungsfonds einem brutalen Sparkurs unterwarf. In der heruntergewirtschafteten Pasok (8 Prozent Wähleranteil) stand Kaili am rechten Rand. Arbeitslose bezeichnete sie als «Faulenzer», hingegen «faschistisch» war für sie die Linksregierung von Syriza-Mann Alexis Tsipras. Lieber verkehrt die studierte Architektin in gehobenen Kreisen. Etwa beim Clan um den russisch-griechischen Milliardär, Fussballklubbesitzer und Putin-Fan Ivan Savvidis. Oder eben bei den Katar-Scheichs.

DIE BANKNÖTLI

Im Emirat war Kaili zuletzt im November zu Gast – und zwar allein. Das ist deshalb auffällig, weil sie eigentlich Teil einer EU-Delegation gewesen wäre. Doch der Besuch war von Doha abgesagt worden. Kaili aber wurde als «Ihre Exzellenz» empfangen. Zurück in Brüssel, sprudelte sie nur so vor Lob über das WM-Land und seine Reformen. Kritikern hielt sie vor: «Sie beschuldigen alle, die mit Katar reden, der Korruption!» Später schlich sich die Politikerin auch noch in den parlamentarischen Innenausschuss. Diesem gehörte sie zwar nicht an, stimmte aber frischfröhlich mit – für Visaerleichterungen für Katar. Damit ist nun Schluss. Kaili sitzt in einem Brüsseler Hochsicherheitsgefängnis, ihre Partei hat sie rausgeworfen, ihre Konten sind eingefroren. Der Grund: In ­ihrer Wohnung fand die Polizei Taschen voller Geld – total 160’000 Euro. Eine noch schlechte­re Figur gab ihr Vater ab, auch er ein Pasokler. Er hatte von der Polizeiaktion Wind bekommen. Trotzdem hat man den Senior geschnappt. Und zwar just als er aus einem Brüsseler Luxus­hotel rannte – in der Hand einen vollgestopften Koffer. 600’000 Euro war er schwer.

Gewerkschafts-Chef Luca Visentini: «Beschuldigt von Kriminellen»

Nach einer Befragung wurde Luca Visentini unter Auflagen entlassen. Der frühere Chef des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) ist erst im November zum Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) gewählt worden. Zur Zeitung «Domani» sagte er: «Ich wurde beschuldigt, dieser kriminellen ­Organisation anzugehören und von ihr bestochen worden zu sein, um meine Position und die des IGB gegenüber Katar aufzuweichen.» Diesen Vorwurf hätten «einige dieser Kriminellen» erhoben.

NICHTS GEAHNT. Zum Behördenverdacht sei es wohl gekommen, weil er an einigen Initia­tiven von Fight Impunity teilgenommen habe. Weder er noch andere Aussenstehende hätten damals vom tatsächlichen Zweck der NGO wissen können. Als EGB-Chef habe er «keinen direkten Kontakt zu katarischen Angelegen­heiten» gehabt. Erst mit dem Wechsel zum IGB sei er wohl für das Netzwerk interessant geworden. Der Untersuchungsrichter habe letztlich aber eingesehen, dass er als Gewerkschafter auch in jüngster Zeit eine Reihe ­von Erklärungen abgegeben habe, in denen er Katar «zwar einige Reformen» zugestanden, aber stets betont habe, dass die Umsetzung «ab­solut unzureichend» sei. Bei Redaktionsschluss (14. Dezember) war das Ermittlungsverfahren gegen Visentini allerdings noch nicht abgeschlossen. work bleibt dran.

1 Kommentar

  1. Peter Schlemihl Wrobel

    Luca Visentini wurde nicht „freigelassen“. Er durfte zwar das Gefängnis verlassen, muss aber elektronische Fussfesseln tragen. Das Verfahren gegen ihn läuft weiter.

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