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Rohstoffstrategie der Bundesregierung »Mit Lithium allein ist es nicht getan«

Kanzler Olaf Scholz treibt eine europäische Lithium-Strategie voran. Auch in Sachsen soll das Material für E-Auto-Batterien gefördert werden. Nur: Wie sinnvoll ist das? Forscher Rüdiger Eichel gibt Antworten.
Ein Interview von Leon Lindenberger
Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Freiberg

Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Freiberg

Foto: Sebastian Kahnert / AFP

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SPIEGEL: Herr Eichel, Olaf Scholz war am Dienstag mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić im sächsischen Freiberg. Dort soll künftig, genauso wie in Serbien, Lithium für E-Auto-Akkus abgebaut werden. Wie sinnvoll ist diese heimische Förderstrategie?

Eichel: Ich verstehe, dass die Bundesregierung die europäische E-Auto-Fertigung von chinesischen Ressourcen unabhängiger machen möchte. Ich halte das für sehr ambitioniert, weil China bei E-Autos insgesamt einen großen Vorsprung hat, genauso wie Japan und Südkorea. Weil China unsere Rohstoffabhängigkeit aber zunehmend politisch ausnutzt, ist es wichtig, gegenzusteuern. Es stellen sich allerdings zwei Fragen: Werden wir in Deutschland überhaupt Lithium-Ionen-Batterien herstellen können und wollen? Und wie kritisch ist Lithium als Ressource für die Mobilität?

Zur Person
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Sascha Kreklau / Forschungszentrum Jülich

Rüdiger Eichel, 54, ist Direktor des Instituts für Energietechnologien am Forschungszentrum Jülich und leitet den Lehrstuhl für elektrochemische Energiespeicher an der RWTH Aachen. Der Physikprofessor ist Mitglied im Beirat für Batterieforschung, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert.

SPIEGEL: Fangen wir mit der ersten Frage an: Wie steht es um die Produktionsaussichten von Lithium-Akkus in Deutschland?

Eichel: Deutschland hat in der Vergangenheit alle notwendigen Schritte unternommen, damit eine Batterieproduktion hier möglich ist. Wir haben die Forschung, das Fachpersonal, da sind wir wettbewerbsfähig. Es gibt auch Firmen, vom Anlagenbau bis zum Chemiesektor, die die benötigten Komponenten herstellen können.

SPIEGEL: Und wo ist das Problem?

Eichel: Das Problem ist, dass der Absatz von Batteriefahrzeugen eingebrochen ist. Große Hersteller tun sich schwer, Investitionen in die Produktion in Deutschland zu stecken. Wir brauchen einen florierenden Markt für Batteriefahrzeuge, damit eine Produktion in Deutschland ökonomisch sinnvoll ist. Hier kann die Politik unterstützen, es bräuchte verlässliche Rahmenbedingungen. Das hat man versäumt: Erst gab es eine Förderung für Batteriefahrzeuge, dann wurde sie zurückgenommen. Die Planungssicherheit fehlt. Das haben wir bei Northvolt gesehen.

SPIEGEL: Sie sprechen von der schwedischen Batteriefabrik, die Wirtschaftsminister Robert Habeck Anfang des Jahres besuchte, um Pläne für einen Produktionsstandort in Schleswig-Holstein voranzutreiben. Inzwischen ist Northvolt pleite.

Eichel: Die deutsche Regierung hatte das Projekt mit gut 600 Millionen Euro gefördert, die Produktion sollte in direkter Nähe zu Volkswagen laufen. Jetzt steht die Batterieproduktion in Deutschland generell infrage.

»Wir brauchen eine europäische Batteriestrategie.«

SPIEGEL: Dennoch soll die Lithium-Gewinnung in Freiberg nun hochgefahren werden, Scholz macht das mit seinem Besuch zur Chefsache.

Eichel: Es ist wichtig für uns, in der Rohstoffgewinnung unabhängig zu sein und die benötigten Materialien immer verfügbar zu haben. Probleme auf dem Weltmarkt und in der Transportlogistik wirken sich schnell negativ auf die inländische Automobilproduktion aus. Das konnte man zuletzt in der Halbleitertechnik sehen, als Platinenbauelemente nicht mehr durch den Suezkanal transportiert werden konnten und deshalb die Autoproduktion gedrosselt werden musste. Wir brauchen eine europäische Batteriestrategie, aber mit einem holistischen Ansatz über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.

Scholz und Vučić beim sächsischen Oberbergamt: Eine europäische Lithium-Partnerschaft

Scholz und Vučić beim sächsischen Oberbergamt: Eine europäische Lithium-Partnerschaft

Foto: Sebastian Kahnert / dpa

SPIEGEL: Zuletzt sind aber die Herstellungskosten für Lithium-Akkus in China drastisch gesunken, Bloomberg schrieb im Juli von einem Preisrückgang um gut 50 Prozent innerhalb eines Jahres. Auch das wirft die Frage auf, ob die Produktion hier ökonomisch sinnvoll sein wird.

Eichel: Der Markt ist gesättigt: Die Nachfrage ist bei Weitem nicht so hoch wie das Angebot, der Preis geht nach unten. Zudem hat China die Produktion von batterieelektrischen Autos massiv subventioniert.

SPIEGEL: Ist das auf dem europäischen Markt schon spürbar?

Eichel: In den letzten ein, zwei Jahren konnte man feststellen, dass es signifikante Nachlässe auf den Neupreis von Elektroautos gibt. Dieser Effekt wird immer stärker, eine Vielzahl chinesischer Modelle ist auf dem deutschen Markt noch gar nicht zugelassen.

SPIEGEL: Die meisten E-Autos werden von Lithium-Akkus betrieben, etwa bei Tesla, VW und BMW. Gerade chinesische Hersteller wie BYD setzen vermehrt auf Natrium-Ionen-Akkus. Wo ist der Unterschied?

Eichel: Vor allem unterscheiden sich die Produktionskosten. Natrium ist günstiger und in größerem Umfang verfügbar, es kann aus Natriumchlorid, also Kochsalz, gewonnen werden. Das senkt die Kosten der Batterien signifikant. Der Nachteil ist, dass Natrium etwas schwerer ist als Lithium. Bei gleicher Kapazität ist die Batterie schwerer und damit größer. Wenn also die Größe des Akkus im Autobau nicht relevant ist, und auch für Autos im Stadtverkehr, die mit geringerer Reichweite auskommen, ist der Natrium-Ionen-Akku die deutlich attraktivere Option.

SPIEGEL: Das heißt, Deutschland fährt mit seiner Strategie hinterher?

Eichel: Lithium ist nicht veraltet. Ich denke, es wird in Zukunft beides geben, angepasst an die jeweilige Anwendung des Fahrzeugs, die nötige Reichweite und die Preisklasse. Der Markt lässt Platz für beide Technologien. Wir müssen aber auch die anderen Rohstoffe mitdenken, die für die Akku-Produktion benötigt werden. Kobalt, das in vielen Batterien neben Lithium zum Einsatz kommt, könnte durch Nickel und Mangan ersetzt werden, das leichter zu bekommen ist. Wenn wir es ernst meinen, brauchen wir dringend eine umfassende Strategie. Mit Lithium allein ist es nicht getan.

SPIEGEL: Neben der Wettbewerbsfähigkeit ging es in Freiberg vor allem um nachhaltigen Abbau. Dennoch protestieren Umweltverbände. Zu Recht?

Eichel: Lithium-Gewinnung ist ein wasserintensiver Prozess. Da muss man sich überlegen: Wie wirkt sich das auf die unterschiedlichen Förderstandorte aus? In Serbien, wo Anwohner protestieren, ist das Umfeld landwirtschaftlich geprägt. Da ist der Faktor Wasser entscheidender als in Freiberg. Der zweite Aspekt, der zu berücksichtigen ist, ist die Ökologie. Lithium wird aus Erz ausgewaschen, dabei werden auch Schwermetalle freigesetzt, die das Grundwasser verunreinigen können.

»Das ist ein signifikanter Vorteil für das Klima.«

SPIEGEL: Dem örtlichen Umweltrisiko steht die Klimabelastung durch Verbrennerautos gegenüber. Was wiegt in der Abwägung schwerer?

Eichel: Schwierig. Man ist versucht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Lieber CO₂ in der Atmosphäre oder Schwermetalle im Grundwasser? Wir müssen an beiden Fronten arbeiten. Der Lithium-Abbau in Deutschland läuft sicherlich unter höheren Umweltstandards, wir können die ökologische Belastung eindämmen. Wichtig ist darüber hinaus ein umfassendes Lifecycle-Assessment.

SPIEGEL: Das heißt?

Eichel: Eine Prüfung der Umweltauswirkungen von der Förderung der Rohstoffe bis zur Entsorgung der Batterie – jeweils im Vergleich zu den Alternativen. Wenn ich vor Ort eine Fertigungsfabrik habe, muss ich das Lithium nicht erst über ein Weltmeer von Chile nach Deutschland transportieren. Das ist ein signifikanter Vorteil für das Klima. Insgesamt steht außer Frage, dass die Elektromobilität einen großen Klimavorteil gegenüber dem Verbrennungsmotor bringt. Das hängt allerdings vor allem vom Strommix ab, den wir beim Laden verwenden. Aktuell ist in Deutschland noch so viel Braunkohlestrom dabei, dass es keinen großen Unterschied zum Verbrennungsmotor gibt. Wir müssen also gleichzeitig die erneuerbaren Energien ausbauen.

SPIEGEL: Stichwort Lifecycle-Assessment: Neben der Herstellung ist es entscheidend, ob alte Akkus recycelt werden. Funktioniert der Stoffkreislauf in Deutschland?

Eichel: Die faszinierende Erkenntnis ist, dass die Batterien viel besser sind als prognostiziert. Man ist lange davon ausgegangen, dass Lithium-Ionen-Akkus höchstens sieben Jahre lang halten. Mit den aktuellen Generationen kommt man aber wahrscheinlich in die Größenordnung von 20 Jahren, das entspricht etwa der Lebensdauer eines Dieselmotors. Danach kann man die Batterie mindestens für weitere 20 Jahre in einem Second Life stationär nutzen, im Eigenheim zum Beispiel, um den Photovoltaikstrom vom Dach zu speichern. Erst dann wird eine Recyclingstrategie notwendig. Die hat Deutschland noch nicht. Wenn wir nachhaltig produzieren und fahren wollen, sollten wir darüber frühzeitig nachdenken. Allerdings wird Recycling voraussichtlich erst in einigen Jahrzehnten ein großes Thema sein.

»Meine Vision von der Zukunft ist, dass wir eine zirkuläre Wirtschaft haben.«

SPIEGEL: Zurück nach Freiberg: Das Erzgebirge war jahrhundertelang vom Bergbau geprägt und erlebte erst in den letzten Jahrzehnten einen Strukturwandel. Kehrt die E-Mobilität diese Entwicklung jetzt um?

Eichel: Ich komme aus Jülich, das liegt im Rheinischen Revier. Bei uns spürt man eine tiefe Verbundenheit zum Braunkohleabbau. Ich weiß, wie viel Wissen in diesen Bergbauregionen steckt, glaube aber nicht, dass der Untertagebau wegen der deutschen Lithium-Strategie eine Renaissance feiern wird, zumindest nicht langfristig. Für die nächsten Generationen von Akkus wird gar nicht mehr so viel Lithium benötigt, und auch beim elektronischen Batteriemanagement im Auto kann man noch viel größere Kapazitäten rausholen, zehn bis 20 Prozent. Die Forschung ist noch lange nicht am Ende.

SPIEGEL: Wann ist das Ende erreicht?

Eichel: Meine Vision von der Zukunft ist, dass wir eine zirkuläre Wirtschaft haben. Die Rohstoffe der Batterien können sehr gut wiederverwendet werden, ein geschlossener Kreislauf ist also möglich. Weiteren Abbau im Erzgebirge bräuchte es dann nicht mehr.

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