Bauvertrag: Meister und Gewerkschaften einigen sich

Grossangriff gebodigt, LMV gesichert

Jonas Komposch

Die Bauproteste ­haben gewirkt: In den letzten Verhandlungsrunden um den Landesmantelvertrag liessen die Baumeister ihre Angriffspläne fallen. Gesichert sind jetzt 150 Franken mehr Lohn für alle. Doch beim vollen Teuerungsausgleich hapert’s.

KÄMPFEN NÜTZT: Tausende Baubüezer gingen diesen Herbst gegen die radikalen Forderungen der Bau­meister auf die Strasse. (Foto: Unia)

Es dauerte neun volle Monate, sieben Verhandlungsrunden und zwei Extrasitzungen. Doch dann, in den frühen Morgenstunden des 29. November, war der Durchbruch endlich da. Die Gewerkschaften und der Baumeisterverband einigten sich im Verhandlungsmarathon um einen neuen Landesmantelvertrag (LMV) auf ein gemeinsames Resultat. Chris Kelley, Unia-Co-Leiter Bau, bewertet das Ergebnis verhalten positiv: «Die radikalen Abbauforderungen konnten wir abwehren und zudem einzelne Verbesserungen erreichen.» Tatsächlich scheiterte der Baumeisterverband mit seinen extremen Positionen. Darunter: Abschaffung des Arbeitszeitkalenders, Einführung der 58-Stunden-Woche und von Arbeit auf Abruf sowie Kürzung der Kündigungsfristen für ältere Bau­arbeiter. Allerdings mussten auch die Gewerkschaften von ihren ursprünglichen Maximalforderungen abrücken. Dennoch empfiehlt die gewerkschaftliche Verhandlungsdelegation das Resultat zur Annahme. Kelley erklärt: «Der LMV ist der fortschrittlichste Gesamtarbeitsvertrag des Landes und färbt auf viele ­andere Branchen ab. Mit diesem ­Abschluss konnten wir einen beispiellosen Angriff auf die Arbeitsbedingungen stoppen, den Vertrag sichern und einzelne Verbesserungen erreichen.»

Hinter der Einigung liegt eine intensive Phase der Mobilisierung. Die Bauleute sahen zu Recht ihr Privat- und Familienleben in Gefahr. Im vergangenen Juni protestierten 15 000 von ihnen mit einer mächtigen Demo in Zürich. Und mit den landesweiten Streikaktionen im Oktober und November setzten erneut Tausende Baubüezer Druck auf. Nun also die Einigung kurz vor Jahresschluss. Fix ist das Resultat aber noch nicht. Beide Lager müssen es absegnen. Zuerst ist die Unia-Berufskonferenz dran. Sie entscheidet am 10. Dezember, ebenso die Mitglieder der Gewerkschaft Syna. Die Baumeisterdelegierten beschliessen dann am 13. Januar.

DAS STEHT IM NEUEN VERTRAG:

Der neue Landesmantelvertrag wird für drei Jahre abgeschlossen. Er soll ab Januar 2023 bis Ende 2025 gelten.Folgendes ist darin geregelt:

Lohn:

Für 2023 gibt es eine generelle Lohnerhöhung von 150 Franken für alle. Zudem steigen sämtliche Mindestlöhne um 100 Franken. Eine Woche vor dem Abschluss boten die Meister erst 60 Franken. Teuerungsbedingt wachsen damit die Reallöhne aber nur in der tiefsten Lohnkategorie C (Bauarbeiter ohne Fachkenntnisse).
Baumaschinisten der Kategorien M2–M7 haben neu ein Anrecht auf die Lohnklasse A, womit ihre Mindestlöhne durchschnittlich um
370 Franken steigen.

Arbeitszeit:

Der Arbeitszeitkalender bleibt bestehen, die von manchen Baumeistern geforderte 58-Stunden-Woche ist vom Tisch, genauso wie die Arbeit auf Abruf. Auch die jährlichen 2112 Jahresarbeitsstunden bleiben unverändert. Ebenso die Wochenarbeitszeit. Sie beträgt weiterhin in der Regel minimal 37,5 Wochenstunden (5 Mal 7,5 Stunden) und maximal 45 Wochenstunden (5 Mal 9 Stunden).

Überzeit:

Ab 48 Stunden wird wie bisher ein Zuschlag von 25 Prozent bezahlt, die 49. und die 50. Stunde müssen aber nicht mehr direkt ausbezahlt werden, sondern können auch kompensiert werden.

Über- und ­Minderstunden:

Die Überstundenregelung ist neu durch «0 bis 100» oder «– 20 bis + 80» definiert. Der Rahmen für die bestehende Flexibilität bleibt dabei gleich: die Schwelle von 25 Überstunden pro Monat und die Bandbreite von 100 Stunden pro Jahr bleibt unverändert.

Schlechtwetter:

Die bereits bestehende Möglichkeit, bei Hitze- und Schlechtwettertagen einzelne Überstunden zu kompensieren, wird neu im Vertrag explizit festgehalten.

Kilometer­entschädigung:

Die Kilometerentschädigung für Privatfahrzeuge wird von 60 auf 70 Rappen erhöht (+ 16%).

Vaterschafts­urlaub:

Während des gesetzlichen zehntägigen Vaterschaftsurlaubs gibt es neu den vollen Lohn statt nur die vorgeschriebenen 80 Prozent.

Gerichtsbarkeit:

Bisher konnten die Vertragsparteien ein paritätisches Schiedsgericht anrufen, wenn sie sich anders nicht einigen konnten. Dieses Schiedsgericht wird nun abgeschafft und durch ordentliche Gerichte ersetzt. Zudem verzichten die Baumeister auf die angekündigte Klage wegen angeblicher Friedenspflichtverletzung durch die herbstlichen Proteststreiks. Die Gewerkschaften wiederum verzichten für die Dauer des Landesmantelvertrags auf eine angedrohte Klage gegen die geltende Reisezeitregelung.

Abrechnung:

In Zukunft soll der Arbeitszeitkalender nicht mehr vom 1. Januar bis 31. Dezember dauern, sondern vom 1. Mai bis zum 30. April des Folgejahres einheitlich gelten.

Kompensationstage:

Neu wird die Möglichkeit von
5 Kompensationstagen (arbeitsfreie Null-Stunden-Tage) im Arbeitszeitkalender eingeführt (heutige Praxis: zwischen 0 und 21 Tagen, je nach Region). Weitere Tage gibt es nur entlang der bisherigen Praxis und mit dem Einverständnis der Gewerkschaften innerhalb der ­regionalen paritätischen Kommissionen.

Arbeitsgruppe «offene Punkte»:

In einer Arbeitsgruppe werden bis Mitte 2024 folgende Themen weiterverhandelt: Gesundheitsschutz, Arbeitszeit, Reisezeit, Verbesserung der Situation älterer Bauarbeiter, Berufsbildung und Berufsförderung.


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2 Kommentare

  1. Danilo

    Kein Kommentar, sondern eine Frage.
    Was steht an Gehalt des Ausbildners? Steigt es auch?
    Und auch die gesamte Branche, die unter den Hut „Infra Suisse“ liegt? Strassenbau erste Jahr EBA CHF398.-
    Das ist peinlich.

    • Patricia D'Incau

      Hallo Danilo

      Grundsätzlich haben alle Beschäftigte, die dem Landesmantelvertrag unterstehen, ein Anrecht auf die 150 Franken Lohnerhöhung. Das heisst auch die Strassenbauer und Grundbauer, die im Bereich arbeiten, in dem «Infra Suisse» als Sektion des Baumeisterverbands tätig ist. Und zwar unabhängig davon, in welcher Lohnklasse / mit welcher Qualifikation man ist.

      Allerdings werden im Gegensatz zu den eigentlichen Löhnen die sogenannten Lehrlingsentschädigungen nicht zwischen den Gewerkschaften und dem Baumeisterverband ausgehandelt – diese werden alleine vom Baumeisterverband in Form einer Empfehlung herausgegeben. Für den Infra-Bereich betragen sie für das erste Lehrjahr 12% (EFZ) resp. 8% (EBA) eines normalen Lohnes der Lohnkategorie B. Du findest sie hier: https://infra-suisse.ch/dokumente/berufe-bildung/

      Tatsächlich sind gerade in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, gute Leute für den Bauberuf zu begeistern, solche tiefe Lehrlingsentschädigungen weder hilfreich noch fair.

      Beste Grüsse,

      für die Redaktion
      Patricia D’Incau

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