Ratgeber

Verdacht auf Lohndiskriminierung? Das können Sie tun.

Martin Jakob

Die neusten Zahlen zeigen es: Der Lohngraben zwischen Mann und Frau nimmt neuerdings ­sogar wieder zu. Ein Skandal! Doch work zeigt: Das müssen Sie sich nicht gefallen lassen.

FELSENFEST: Der Lohngraben zwischen Frau ­und Mann ist nach wie vor gross. Da braucht’s noch viele kleine Erdstösse – und fürs Erdbeben den Einsatz von allen. (Foto: Shutterstock)

Es gibt Skandale, die sind so allgegenwärtig und dauern schon so lange an, dass die Gefahr besteht, sich an sie zu gewöhnen. Die Lohn­unterschiede bei Frau und Mann wären ein Skandal von dieser Sorte, würden ihn nicht Gewerkschaften und Frauenorganisationen hartnäckig ins Bewusstsein rufen.

Seit 40 Jahren steht zwar in der Bundesverfassung: «Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.» Und seit 25 Jahren ist dieser Grundsatz im Gleichstellungsgesetz konkretisiert. Seit der Revision vom letzten Jahr verpflichtet dieses Gesetz zudem die Firmen mit 100 und mehr Mitarbeitenden zur Durchführung einer Lohngleichheitsanalyse.

Jährlich werden die Frauen um 10 Milliarden Lohnfranken geprellt.

RIESIGER LOHNGRABEN

Die Tiefe des Lohngrabens hat work gerade wieder neu berechnen lassen. Und die Zahlen zeigen es deutlich: Es geht nicht vorwärts mit der Lohngleichheit. Im Gegenteil, sie steigt neuerdings wieder an. Nicht nur ist jener Anteil gestiegen, der alleine durch Diskriminierung zu erklären ist (von 42,3 Prozent im Jahr 2014 auf heute 45,4 Prozent). Sondern auch der gesamte Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern hat wieder zugenommen, von 18,3 auf 19 Prozent.

In Franken und Rappen heisst das: Heute wird jede erwerbstätige Frau in der Schweiz pro Jahr im Schnitt um 8300 Franken geprellt. Auf ein ganzes Frauenerwerbsleben von 43 Jahren umgerechnet, beträgt die Lohnlücke im Minimum 357 000 Franken. Alle berufstätigen Frauen zusammen werden in der Schweiz jährlich um mehr als 10 Milliarden Franken geprellt. Das zeigen die Berechnungen des Berner Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass). Pikant: Die Zahlen beziffern nur jenen Teil des Lohnunterschieds, der nicht durch Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung oder Verantwortung erklärbar ist. Sondern rein durch Diskriminierung (die Details: rebrand.ly/lohngraben).

Kein Gesetz verbietet Ihnen, in der Firma über den Lohn zu reden.

PAPIERTIGER

Aude Spang, Gleichstellungs- und Jugendsekretärin der Unia, nennt mehrere Gründe für die unbefriedigende Situation. «Bei den rechten Parteien und in den Firmen ist die patriarchale Weltsicht immer noch gang und gäbe», sagt sie. «So ist mit der jüngsten Revision des Gleichstellungsgesetzes ein Papier­tiger entstanden, der kaum etwas bringt, besonders wenn die Lohnanalyse nicht einmal sozialpartnerschaftlich durchgeführt wird.» Ausserdem unterstünden in der Schweiz zu viele Arbeitsverhältnisse keinem Gesamtarbeitsvertrag: «Ein GAV kann Lohndiskriminierung besser verhindern», sagt Spang. «Aber um Lohnungleichheit effizient zu bekämpfen, braucht es zudem Mindestlöhne, insbesondere in Tieflohnbranchen, so dass Frauenberufe besser bezahlt werden.» Eine weitere ­Ursache sei die in der Schweiz ­übliche Geheimnistuerei um die Löhne: «Wäre es überall normal, Löhne transparent zu machen, ­kämen auch diskriminierende ­Unterschiede eher ans Tageslicht.»

HEGEN SIE VERDACHT?

Viele Berufsfrauen haben deshalb zunächst nur einen Verdacht, dass sie ungerechtfertigterweise weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen mit gleichwertiger Arbeit erhalten. Ist das bei Ihnen der Fall, dann sollten Sie besser nicht als erstes im Personalbüro oder bei der Chefin vorsprechen. Sammeln Sie zunächst Belege, die Ihren Verdacht bestätigen könnten:

  • Auf www.lohnrechner.ch schauen Sie nach, was Angestellte in Ihrem Beruf, Ihrer Branche, Ihrer Region je nach Ausbildung, Funktion und Dienstalter üblicherweise verdienen. Der Lohnrechner des Bundes liefert die Resultate auch getrennt nach Geschlechtern (rebrand.ly/salariumschweiz).
  • Vergleichen Sie Ihren Lohn mit jenem von Kolleginnen und Kollegen. Es gibt kein Gesetz, das Angestellte zur Geheimhaltung ihres Lohns verpflichtet (in Einzelfällen kann der Arbeitsvertrag begründete Ausnahmen vorsehen). Das Bundesgericht hat sogar ausdrücklich festgehalten, Löhne unterstünden nicht der Geheimhaltungspflicht im Rahmen der Treuepflicht von Angestellten.
  • Wenden Sie sich an die Unia oder an Ihre Personal- oder Betriebskommission. In jedem Fall sind die Chancen und Risiken ­einer Klage abzuwägen und die Möglichkeiten zu überlegen, ob und wie ein kollektives Vorgehen mehr bringen würde.

Läuft ein Verfahren, darf Ihnen nicht gekündigt werden.

KLAGBARES UNRECHT

Gegen Lohndiskriminierung können betroffene Personen Klage einreichen. Jeder Kanton hat dafür Schlichtungsstellen eingesetzt. Die zuständigen Stellen und Abläufe in Ihrem Kanton finden Sie auf www.gleichstellungsgesetz.ch. Das Verfahren ist kostenlos, jedoch müssen allfällige Anwaltskosten der Klägerin von dieser selber oder von ihrer Rechtsschutzversicherung getragen werden. Während des Verfahrens und sechs Monate danach besteht ein Kündigungsschutz. Die Schlichtungsstelle muss ihr Verfahren innert 12 Monaten abschliessen und hat eine gütliche Einigung zum Ziel; scheitert diese, kommt es zum Gerichtsverfahren – und das kann dauern.

Ein Klagerecht haben auch Verbände, insbesondere Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Vor allem wenn sich herausstellt, dass nicht Sie als einzige von Lohndiskriminierung betroffen sind, ist eine Verbandsklage vorteilhafter: Nicht nur erzeugt sie mehr Druck, Sie können auch vorerst anonym bleiben. Und gemeinsam mit anderen Betroffenen ist auch die Prozedur eines Gerichtsfalls leichter durchzustehen.

Materialien und Mutmacher-­Infos zur Lohngleichheit finden Sie auf der Unia-Website unter: ­«Kampagnen – Lohngleichheit».

Nachträglich klagen

Sie haben bereits die Stelle gewechselt? Dann können Sie gegen Ihren früheren Arbeitgeber, bis zu fünf Jahre nachdem Sie die Stelle verlassen haben, Klage wegen Lohndiskriminierung einreichen.


LohngleichheitsanalyseStumpfe Waffe

Seit dem 1. Juli 2020 ist für Firmen mit 100 und mehr Angestellten die Durchführung einer Lohngleichheitsanalyse Pflicht. Allerdings hat das Parlament in der Revision für gravierende Schwächungen gesorgt. Erstens können sich die Firmen dafür ganz viel Zeit lassen: Analyse bis 30. Juni 2021, externe Prüfung bis 30. Juni 2022, Information an die Angestellten bis 30. Juni 2023. Schneckentempo! Zweitens haben Verstösse gegen die Lohngleichheit keinerlei rechtliche Konsequenzen: Firmen, welche die Toleranzgrenze von 5 Prozent bei den unerklärten Lohn­unterschieden zwischen Frau und Mann überschreiten, müssen einfach vier Jahre später nochmals eine Analyse durchführen und dann nochmals vier Jahre später, und 2023 läuft das befristete Gesetz sowieso aus … Und drittens überlässt es das Gesetz den Firmen, ob sie die Analyse unter Einbezug der Sozialpartner durchführen oder nicht. Was in der Praxis bedeuten wird: eher nicht.

So können Sie als Unia-Mitglied helfen, mehr Druck aufzubauen: Setzen Sie sich ­dafür ein, dass Ihr Unternehmen die Lohnanalyse sozialpartnerschaftlich durchführt. Auch wenn Ihre Firma weniger als 100 Mitarbeitende zählt, lassen sich seriöse Lohngleichheitsanalysen durchführen – das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EGB) stellt dazu die passenden Tools zur Verfügung.

Und der Tipp für Vertrauensleute: Machen Sie sich fit für Lohngleichheitsanalysen! Den entsprechenden Kurs bietet Movendo dieses Jahr neu an: «Lohngleichheitsanalysen ­konkret», 21. 9. 2021, Olten, www.movendo.ch.

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