Scintilla AG: Im Oberwallis boomt die Industrie

Gut gesägt ist ganz gewonnen

Ralph Hug

1,3 Millionen ­Sägeblätter verlassen täglich die ­Scintilla in St. Niklaus VS. Die Weltmarktführerin ist jetzt nämlich auch noch Corona-Gewinnerin. Denn im Lockdown wird mehr geheimwerkt.

SCHARF UND PRÄZISE: Kreissägenblatt von Bosch. (Fotos: PD, PNGtree)

Nicht nur Homeoffice ist angesagt. Auch Home Made: Millionen von Do-it-yourself-Fans greifen während der Pandemie zu Hammer und Säge. Und bauen, zimmern und werken zu Hause auf Teufel komm raus. Dabei denken die wenigsten an ein Oberwalliser Bergdorf mit knapp 2300 Einwohnerinnen und Einwohnern. In St. Niklaus im Mattertal steht nämlich die Fabrik der Scintilla AG, eine Tochter der deutschen Bosch. Sie produziert Mil­lionen von Sägeblättern aller Art. Ebenfalls auf Teufel komm raus. Denn die Nachfrage ist riesig und mit Corona gar noch gestiegen. Von ihren zweistelligen Wachstumsraten können andere Firmen nur träumen.

Erst im Sommer 2019 stellte das Unternehmen für 32 Millionen Franken einen Neubau ins Dorf. Sieht aus, als wäre ein weisser Meteor vom Himmel gefallen: «Zaniglas», wie das Dorf auf Walliser­tiitsch heisst, kennt keine Deindustralisierung. Inzwischen arbeiten 780 Leute bei Scintilla. 100 neue kamen während der Pandemie als Temporäre hinzu. Nicht wenige heuerten aus dem darbenden Tourismus an – froh, überhaupt einen Job zu haben. Verkehrte Welt: Während andernorts Arbeitsplätze von der Industrie in den Dienstleistungssektor abwandern, ist es in St. Niklaus gerade umgekehrt.

«Im Oberwallis gibt es noch so etwas wie eine industrielle Kultur.»

INDUSTRIE-HOTSPOT WALLIS

Dabei sah es auch mal anders aus. 2015 lagerte Scintilla am Hauptsitz in Zuchwil SO Hunderte Jobs nach Ungarn aus. Und 2017 entschied der deutsche Mutterkonzern Bosch, ein eigenes Sägeblätterwerk in den USA aufzubauen. Weil der Boom aber auf breiter Front anhielt, hatte dies keine Folgen für St. Niklaus. Im Gegenteil: Selbst im Oberwallis war noch ein Ausbau der Kapazitäten nötig. So erweisen sich jetzt zwei Firmen in der Region als hochtourige Jobmotoren: die Scintilla und die Lonza. Beide schaffen derzeit zusammen Hunderte von neuen Arbeitsplätzen. Scintilla, weil sie mit den Bosch-Elektrowerkzeugen eine Spitzenposition im Weltmarkt hält. Die Lonza, weil sie rechtzeitig auf die zukunftsträchtige Biotechnologie umgestellt hat. Bekanntlich produziert die Lonza in Visp den Corona-Impfstoff von Moderna. Im neuen Biopark namens Ibex sollen im Endausbau sechshundert Hochqualifizierte arbeiten. Bald schon werden drei Produktionslinien operationell sein. Schatten ziehen nur auf, weil die Zukunft der Lonza-Chemiesparte wegen des Verkaufs an Finanzheuschrecken ungewiss erscheint (siehe Artikel unten und Box). Sonst aber gilt: Das Oberwallis mutiert rasant zu einem industriellen Hotspot der Schweiz. Diese Entwicklung lässt sich auch anhand der Geographie des Hauptorts Visp ablesen (siehe Karten).

Die Scintilla hat bei den Stichsäge- und Säbelsägeblättern einen Weltmarktanteil von über 50 Prozent. Das sagt Werksleiter Michel Imseng. Ein weiteres und wichtiges Alleinstellungsmerkmal: Das Unternehmen baut von den Maschinen bis zur Produktion alles selber. Das nennt man Wertschöpfung dank vertikaler Integration. Scintilla steht also praktisch konkurrenzlos erfolgreich da. Mit der Innovation von Starlock-Werkzeugen baute Bosch seine Führungsposition noch aus. Dieses Polster hielt auch während der Pandemie. Als nämlich die Baumärkte zu waren, ging der Absatz von Sägeblättern sofort zurück. Aber nur, um nach der Öffnung gleich wieder anzusteigen. Sozusagen ein «Hornbach-Effekt». Scintilla konnte Kurzarbeit vermeiden. Stattdessen genügten im Mai 2020 drei Schliesstage, um die Absatzflaute aufzufangen. Gewerkschaftlich gesehen ist Scintilla wegen der vielen Teilzeit- und Temporärangestellten eher ein Entwicklungsgebiet. Das sagt der pensionierte Unia-Sekretär German Eyer. Immerhin untersteht der Betrieb dem MEM-Gesamtarbeitsvertrag.

GRANDHOTEL WIRD FABRIK

Die Scintilla straft die verbreitete Meinung Lügen, in der Schweiz sei eine industrielle Produktion wegen der hohen Lohnkosten schwierig bis unmöglich. Der Betrieb gibt zwar keine Geschäftszahlen bekannt. Aber jetzt verlassen pro Tag 1,3 Millionen Sägeblätter das Werk. Wenn ein einfaches Stichsägeblatt bei Hornbach gut 2 Franken kostet, kommt man auf einen mutmasslichen Lohnkostenanteil von unter 10 Prozent. Will heissen: die Scintilla ist ein hochproduk­tiver Betrieb, die Lohnkosten scheinen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Viel mehr zählen Know-how und Technologie. Und natürlich die Mitarbeitenden: Nicht ­wenige sind stolz darauf, bei der Scintilla zu arbeiten. Sie legen schon mal eine freiwillige Samstagsschicht hin, wenn es eilt. ­Politbeobachter, work-Autor und Walliser Hotelier Peter Bodenmann, selber ein Einheimischer, sagt: «Im Oberwallis gibt es noch so etwas wie eine industrielle Kultur.»

Ins entlegene Mattertal kam die gut hundertjährige Scintilla übrigens durch einen schlauen Deal. Im Bergdorf stand ein ehemaliges Grand­hotel aus den Anfängen des Alpintourismus leer. Die Scintilla suchte nach dem Zweiten Weltkrieg ­einen kostengünstigen Standort, wurde auf St. Niklaus aufmerksam und zog dann ins Grandhotel ein. So begann eine Produktion, die aber damals noch nichts mit Sägeblättern zu tun hatte. Sondern mit Magnetzündern, Relais für Auto-Blinker und Staubsaugern. Und bald zündete dann der Funke.


Lonza-Alarm:Sind die Heuschrecken im Anflug?

(Foto: iStock)

Im Februar hat Lonza-Chef Albert Baehny die Chemiesparte mit rund 1800 Jobs in Basel und Visp verkauft. Wert: 4,2 Milliarden Franken. Zum Handkuss kommen die beiden US-britischen Finanzinvestoren Bain Capital und Cinven.

Nun erhalten die neuen Chefs bald Post von den Gewerkschaften. Die Unia und die Syna haben eine Petition lanciert. Die Gewerkschaften verlangen Arbeitsplatzgarantien: «Wir fordern für die Standorte und die Arbeitsplätze in Visp und Basel für mindestens die nächsten zehn Jahre eine Garantie», heisst es in der Petition. Auch soll der GAV in Kraft und die Pensionskasse unangetastet bleiben. Darüber hinaus verlangen die Betroffenen volle Transparenz. Doch genau da hapert es. Klar ist nur, dass die Lonza derzeit komplett umgebaut wird: weg von den Chemiespezialitäten hin zur Biotechnologie. Denn die verspricht mehr Gewinn. work berichtete hier: (rebrand.ly/lonza-wunder). Nach Angaben von Unia-Sekretär Martin Dremelj läuft die Unterschriftensammlung sehr gut: «Wir haben viele positive Rückmeldungen.»

Wo Finanzheuschrecken am Werk sind, sind die Jobs nicht mehr sicher. Schon gar nicht bei Bain Capital. Diese US-Gesellschaft hat den Ruf, solch ein Heuschrecken-Fonds zu sein: Fressen, plündern, wegwerfen, lautete lange Zeit die Strategie dieser sogenannten Private-Equity-Gesellschaften. Diese sind eine Erfindung der Wall Street und erlebten in den letzten zehn Jahren einen wahren Boom. Durch Übernahmen und Beteiligungen dominieren sie immer mehr die Wirtschaft und sind so ein Zeichen für den Wandel vom Industrie- zum Finanzkapitalismus. Der Republikaner und Trump-Widersacher Mitt Romney aus Utah war früher Chef von Bain Capital und wurde mit der Firma schwer reich. Im Wahlkampf gegen Barack Obama im Jahr 2012 musste sich Romney vorhalten lassen, er habe durch die Machenschaften seiner Finanzfirma Tausende von Jobs auf dem Gewissen.

Die Unia verlangt mit einer Petition Arbeitsplatzgarantien.

UND DIE LONZA-SCHULDEN? Doch inzwischen haben die Fondsmanager dazugelernt. Nicht mehr der kurzfristige Gewinn steht im Vordergrund, sondern der mittelfristige. Weil dieser noch grösser ist, wenn man es clever macht. Auch die Bain-Chefs rechnen bei Firmenkäufen mit einer Haltedauer von fünf bis sieben Jahren. Nichts geändert hat sich jedoch am Ziel: Profit machen. Was passiert jetzt nach dem Lonza-Deal? Bain und Cinven wollen das Geschäft mit der Spezialchemie «entwickeln», sagen sie. Mehr ist nicht bekannt. Tatsächlich laufen die Geschäfte mit den Zutaten zu Holzpflege- und Desinfektionsmitteln gut.

Entscheidend werden aber die Schulden sein, orakelt die Finanzbranche. Denn auf Lonza lasten noch die Kredite aus der teuren Übernahme der Firma Capsugel für 5,5 Milliarden Franken. Hat Lonza-Chef Baehny einen Grossteil davon den Käufern angehängt? Das wäre allerdings eine schöne Ironie der Geschichte. Denn das Geschäftsmodell von Private-Equity-Firmen bestand darin, Firmen auf Pump zu kaufen, ihnen die Kreditschulden aus dem Kauf anzuhängen und sie dann ausgesogen abzustossen oder in Konkurs gehen zu lassen.

Die «Rote Anneliese» warnt: Heuschrecken!

«Lonza in Gefahr»: So titelt die neue Ausgabe des Walliser Oppositionsblatts «Rote Anneliese», die soeben erschienen ist. Es befasst sich in einem Schwerpunkt mit dem Chemiegeschäft des Visper Konzerns, das jetzt in die Hände von Finanz­investoren gerät. Das Dossier ziert denn auch eine grosse, gefrässige Heuschrecke. Ein lesenswertes Dossier. Die «Rote Anneliese» gibt’s seit 1973, und sie lebt als kritische Stimme des Oberwallis immer noch. www.roteanneliese.ch

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