Baumeister auf Radikalinski-Kurs:

Geizen trotz Boom – und gifteln

Jonas Komposch

Die Lohnverhandlungen im Bau sind gescheitert. Jetzt liebäugelt der Baumeisterverband mit dem vertragslosen Zustand – und erwartet Streiks.

NICHTS ALS KRÄNE: Bauinvestitionen auf Höchstniveau. Im Bild die Baustelle des Eco-Quartiers Plaines-du-Loup in Lausanne. (Foto: Keystone)

Der plötzliche Pandemie-Ausbruch war für viele Branchen eine ruinöse Katastrophe. Nicht aber für die Schweizer Bauwirtschaft. Ihre Aufträge waren längst unter Dach und Fach, als der Shutdown kam. Ausserdem mussten die Bauarbeiter einfach weiter­chrampfen – Virus hin oder her. Daher gingen die Umsätze in der Baubranche bloss leicht zurück: um 5,8 Prozent im letzten Jahr. Doch das reichte schon, um etliche Baumeister zu erschrecken. Schliesslich hatten sie sich an die fast durchgehend steil ansteigende Konjunkturkurve der letzten 15 Jahre gewöhnt. Die pandemiebedingte Abkühlung ging aber rasch vorbei. Heute bricht die Branche schon wieder Rekorde: Noch nie waren in der Schweiz so viele Baugesuche hängig wie aktuell. Auf historischem Höchstniveau sind auch die Bauinvestitionen. Und dieser Aufwärtstrend wird sich 2022 noch verstärken. Das zeigen neue Berechnungen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.

«Nicht zum geringsten Lohnangebot konnten sich die Baumeister durchringen.»

BAUMEISTER SENKEN REALLÖHNE …

Glänzende Aussichten also. Da ist es nichts als fair, wenn das Baugewerbe die Mitarbeitenden am Erfolg teilhaben lässt. So wie es etwa die Gebäudetechnikbranche tut (siehe Box). Keine Riesensprünge zwar, aber immerhin Zeichen der Wertschätzung.

Dagegen beteuern die Herren des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV): Generelle Lohnerhöhungen seien schlicht «nicht möglich». Dies schon zum zweiten Mal in Folge, während sie gleichzeitig Millionengewinne einstecken. Kategorisch hat der SBV die Forderung der Bauarbeiter nach 100 Franken mehr Lohn zurückgewiesen. Dabei ist diese alles andere als überrissen. Unia-Bauchef Nico Lutz erklärt: «Eine Lohnerhöhung von 100 Franken entspricht gerade mal der Teuerung plus der Produktivitätssteigerung. Sie würde also nicht einmal die Firmengewinne tangieren.»

Die Meister wollten es aber auch in der letzten Verhandlungsrunde vom 4. November nicht einsehen. Dazu Lutz: «Nicht zum geringsten Lohnangebot konnten sie sich durchringen. Und dies notabene, nachdem in diesem Jahr die Durchschnittslöhne der meisten Bauarbeiter gesunken sind.» Gleiches droht nun auch im nächsten Jahr. Denn eine Lohnnullrunde bei gleichzeitiger Teuerung be­deutet nichts anderes als Reallohnverluste. ­Eigentlich unanständig genug, doch der Baumeisterverband setzt noch eins drauf.

… DROHEN MIT AUS FÜR LMV …

Nur eine Woche nachdem sie die Lohnverhandlungen hatten scheitern lassen, gelangten die Baumeister an den «Tages-Anzeiger». Die Zeitung sollte die Resultate einer Studie verbreiten, die sie bei der Uni Basel bestellt hatten. Zentrale Frage darin: Was passiert mit der Baubranche, wenn es keinen Landesmantelvertrag (LMV) mehr gäbe? Wissen will das der SBV, weil der aktuelle Gesamtarbeitsvertrag Ende 2022 ausläuft. Ein neuer soll ab März mit den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Und für diesen Hosenlupf bringt sich Baumeisterpräsident und FDPler Gian-Luca Lardi lieber schon jetzt in Stellung. Er rechne nämlich mit Streiks, verrät er dem «Tages-­Anzeiger» und lässt vorsorglich die Säbel rasseln: Der Vertrag sei nicht «gottgegeben», mahnt er. Auch im vertragslosen Zustand könne die Branche «gut weiterproduzieren». Das beweise die bestellte Studie. Tatsächlich?

… UND BIEGEN STUDIE ZURECHT

Autor ist der emeritierte Basler Wirtschaftsprofessor George Sheldon, einer der gefragtesten bürgerlichen Arbeitsmarkt­experten. Mit einem solchen Kronzeugen kann nichts schiefgehen, wird sich der SBV gedacht haben. In der Tat lieferte Sheldon einige Resultate, die dem SBV gefallen: Wenn der LMV falle, würden weder die Umsätze noch die Gewinnmargen schrumpfen, hat Sheldon berechnet. Auch der Preisdruck durch ausländische Billigkonkurrenz würde kaum grösser. Und selbst die Löhne sieht der Professor nicht in Gefahr. Im Gegenteil glaubt er sogar an ein steigendes Lohnniveau, wenn der Lohnschutz des LMV entfällt. Kurzum: seltsame Befunde, die jeder Alltagserfahrung zuwiderlaufen, aber sich leicht zum antigewerkschaftlichen Argumentarium aufbauschen lassen. Besonders, wenn man nur rauspickt, was gerade in die eigene Agenda passt.

Die bisher unveröffentlichte Studie, die work vorliegt, zeigt denn auch ganz andere Schlüsse von Sheldon: dass generelle Lohn­erhöhungen keinesfalls «nicht möglich» seien, etwa. Schon in den vergangenen 17 Jahren hätten die Baumeister die Kosten für Lohnerhöhungen jeweils bequem auf die Kunden überwälzen können. Umsatzverluste oder Gewinneinbrüche habe das nicht zur Folge gehabt. Auf Nachfrage von work bestätigt der Professor: auch aktuell seien höhere Löhne ohne weiteres möglich. Und: Sheldon rät dringend vom vertragslosen Zustand ab. Dieser bringe den Firmen keine Vorteile, im Gegenteil: «Ohne Vertrag droht nicht nur ein Kontrollverlust. Man läuft auch Gefahr, die Belegschaften zu verärgern. Das kann hinten rausgehen.»

So geht das: Mehr Lohn

In den Verhandlungen mit den Gewerkschaften stimmte die Gebäudetechnikbranche jüngst einer generellen Lohnerhöhung von 60 Franken zu. Auch die Plattenlegermeister zahlen im nächsten Jahr allen 40 Franken mehr im Monat. Und die Löhne in der Gebäudehüllenbranche steigen generell um 20 Franken. Dagegen machte der Bau­meisterverband kürzlich klar, dass er nicht nur die Bauarbeiter, sondern auch die ­Poliere mit einer Lohnnullrunde ab­speisen will.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.