AboRecherche zu Schweizer Konzern MSC«Als würde ein Lastwagen mit laufendem Motor im Wohnzimmer parkieren»
Auf Malta haben Atemwegserkrankungen stark zugenommen. Liegt es an den Abgasen der Kreuzfahrtschiffe, die in der Werft des Schweizer Konzerns MSC gewartet werden?

Dieser Artikel erschien erstmals am 13. Oktober 2023. Für die Frühlingsferien ergänzen wir unser Angebot für Sie und wünschen Ihnen eine gute Lektüre.
Es ist ein surreales Bild. In einer kleinen Bucht liegt ein riesiges Kreuzfahrtschiff, aus dessen Kamin schwarzer Rauch aufsteigt. Dahinter, als wäre es eine Miniatur, die Kalksteinhäuser der Altstadt von Valletta.
Für Josianne Micallef ist die surreale Aussicht alltäglich. Sie lebt im Städtchen Senglea, das auf einer Halbinsel gegenüber von Valletta liegt, der Hauptstadt von Malta. Die Kreuzfahrtschiffe werden direkt vor ihrer Wohnung gewartet, manchmal wochenlang. Von ihrem kleinen Balkon sind es keine fünfzig Meter bis zur Mauer, die ihr Wohnquartier von der Palumbo-Werft trennt. «Das Wichtigste, das wir haben, ist unsere Gesundheit», sagt sie, «die Schiffe bedrohen uns mit ihrem Rauch. Das ist alarmierend.»
Josianne Micallef ist sechsunddreissig, leitende Angestellte im Marketing eines Finanzdienstleisters und wohnt seit zwei Jahren in Senglea. Das Städtchen befindet sich auf der Südseite des Grand Harbour, einer weitverzweigten Bucht, die schon Phöniziern, Römern und Arabern als Ankerplatz diente. Hier werden die Kreuzfahrtschiffe und Fähren gewartet und repariert, die auf der Nordseite anlegen.
Wie in Valletta prägen auch in Senglea beige Kalksteingebäude mit bunten Fensterläden das Ortsbild. Das Städtchen wirkt wie eine kleine, ein wenig heruntergekommene Kopie des Unesco-Welterbes Valletta. Die meisten Häuser sind so schmal, dass es keinen Platz für einen Aufzug hat. Josianne Micallef musste ihre Möbel über eine schmale Treppe in die Wohnung zügeln.
«Früher öffneten wir die Fenster, um frische Luft reinzulassen. Jetzt schliessen wir sie, damit die Luft sauber bleibt.»
An diesem Abend im Juli ist es ausnahmsweise ruhig. Die Gastgeberin bringt kühles Wasser und Snacks aus der Küche, durch die Fenster des Wohnzimmers sieht man die gelben Kräne der Werft. Wenige Tage zuvor habe man sich hier nicht unterhalten können, so laut seien die Wartungsarbeiten von morgens bis spät in die Nacht gewesen, sagt Micallef. «Der Lärm ist eine lästige Plage. Doch das grössere Problem sind die Abgase.»
Beim Kauf der Wohnung sei ihr bewusst gewesen, dass sie in eine Hafenregion zieht, dass Kreuzfahrtschiffe in Sichtweite einlaufen und in der Werft gleich nebenan gewartet werden. Was sie jedoch nicht ahnen konnte: wie viel mehr Schiffe, Dreck und Lärm in der kurzen Zeit, seit sie hier lebt, dazukommen würden.
So wie Josianne Micallef geht es auch Nachbarinnen und Nachbarn.
Sie sagen: «Die Luft, die wir atmen, ist giftig.»
«Früher öffneten wir die Fenster, um frische Luft reinzulassen. Jetzt schliessen wir sie, damit die Luft sauber bleibt.»
«Die Abgase der Kreuzfahrtschiffe füllen mein Haus mit Russ, sie machen uns Kopfschmerzen, Gehirnnebel und Atembeschwerden.»
«Es ist, als würde ein Lastwagen mit laufendem Motor im Wohnzimmer parkieren.»

Wir konnten für diese Recherche mit einem Dutzend Bewohnerinnen und Bewohnern der Hafenregion sprechen. Alle beschweren sich. Doch ausser Josianne Micallef hat niemand gewagt, mit Name oder Foto hinzustehen. Zu gross sei die Angst vor Konsequenzen.
Wir wollten herausfinden, woher diese Angst kommt. Wie stark die gesundheitliche Belastung durch die Kreuzfahrtschiffe ist. Und welche Rolle der Schweizer Konzern spielt, dem die Werft und die Schiffe gehören.
Die Menschen ziehen weg
Wer Malta hört, denkt an Sonne, Meer und malerische Häuser. Tatsächlich lebt das kleinste Land der EU vom Tourismus: Zwischen 2016 und 2019 stieg die Zahl jährlicher Besucherinnen und Besucher um mehr als das Doppelte auf 3,5 Millionen – eine enorme Menge für ein Land, das kleiner ist als der Kanton Obwalden.
Doch Malta boomt nicht überall. Während die Einwohnerzahl des Landes zwischen 2011 und 2021 um ein Viertel auf gut eine halbe Million gestiegen ist, ist sie in Senglea, wo Josianne Micallef wohnt, um über fünfzehn Prozent gesunken.
Wegen der fehlenden Anbindung ans Stromnetz an Land müssen die Kreuzfahrtschiffe ihre Generatoren auch während der Wartung laufen lassen.
Gemeinsam mit den beiden anderen Halbinseln Vittoriosa und Cospicua bildet das Städtchen die «Three Cities», ein dicht besiedeltes Gebiet, das seit Jahrzehnten unter einem schlechten Ruf und politischer Vernachlässigung leidet. Trotz Sanierungsprojekten und der Belebung des Tourismus dominieren ärmere Haushalte, die Grundstückspreise sind tief. Einer der Gründe dafür ist wohl auch die Palumbo-Werft.
Im Frühjahr 2020 war bekannt geworden, dass MSC Cruises, eine Tochterfirma des Schweizer Schifffahrtkonzerns Mediterranean Shipping Company (MSC), die Hälfte der Palumbo-Werft übernimmt und diese fortan in einem Joint Venture mit der Palumbo-Gruppe betreibt. Für viele Bewohner ein Schock, weil sie ahnten: MSC wird nun in dieser Werft seine Schiffe warten.
In einem offenen Brief forderte man den Premierminister und die Parlamentsabgeordneten auf, die Beteiligung zu überprüfen und sicherzustellen, dass die bestehenden Probleme angegangen werden. Nötig seien vor allem ein Monitoring der Luft- und Lärmbelastung sowie eine neue Strominfrastruktur.
Was im ersten Moment banal klingt, ist in Wahrheit entscheidend: Der Grund dafür, dass Schiffe die Luft auch während der Reparatur und Wartung verschmutzen, ist die fehlende Anbindung ans Stromnetz an Land. Um die Bordsysteme betreiben zu können, müssen die Kreuzfahrtschiffe ihre Generatoren laufen lassen.
Diese stossen CO2, Feinstaub sowie Schwefel- und Stickstoffoxide aus. Die Schwefelemissionen sind zwar nicht mehr so hoch wie früher – seit Anfang 2020 gibt es strengere internationale Regeln –, aber der Treibstoff ist noch immer viel giftiger als beispielsweise der für Autos. Die Luftverschmutzung bleibt ein grosses Problem, wie ein aktueller Bericht der Organisation Transport & Environment zeigt. Deshalb werden in Häfen und Werften rund ums Mittelmeer immer öfter Landstromanschlüsse installiert.
Allerdings nicht in der von MSC und Palumbo betriebenen Werft. Hier ist die Politik nicht auf die Sorgen der Anwohnenden eingegangen. Die Palumbo Group bezeichnete den Protestbrief als «nichts anderes als eine Provokation durch die üblichen Verdächtigen». Der Deal werde «nur positive wirtschaftliche Auswirkungen» haben. MSC blieb stumm, und in der Schweiz wurde die Kontroverse nicht wahrgenommen.
Der reichste Schweizer
In der Schweiz gibt es kaum andere Unternehmen, die gleichzeitig so mächtig und so unbekannt sind wie das Schifffahrtsunternehmen mit den drei Buchstaben. MSC hat mehr als 100’000 Angestellte und über 700 Hochseeschiffe. Der Jahresgewinn während und kurz nach der Pandemie betrug geschätzte 27 Milliarden Franken.
Im April 2022 kaufte MSC die Bolloré Africa Logistics Group für 5,5 Milliarden Franken und übernahm damit 21 ’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 42 Häfen – von Westafrika über Indien bis nach Haiti. Die Übernahme wurde von «The Africa Report» als «deal of the year» bezeichnet. In den Deutschschweizer Zeitungen hingegen: kein Wort.
Die Familie Aponte gilt als äusserst diskret, Umsatz- oder Gewinnzahlen kommuniziert ihr Unternehmen nicht. Doch seit einer Tamedia-Recherche ist bekannt, dass die Apontes die reichsten Schweizer sind.
Einzig in Genf weiss man etwas besser Bescheid über das Unternehmen. Hier steht der gläserne MSC-Hauptsitz inmitten der Villen und Parks des Quartiers Champel. Hier ist vielen auch das Besitzerpaar Gianluigi und Rafaela Aponte ein Begriff. Zwar gilt die Familie Aponte als äusserst diskret, Interviews sind selten und Umsatz- oder Gewinnzahlen kommuniziert das Unternehmen nicht. Doch seit einer Tamedia-Recherche im vergangenen Jahr ist bekannt, dass die Apontes die reichsten Schweizer sind.
Gianluigi Aponte (83) begann als armer Schiffsjunge und arbeitete sich zum Kapitän hoch. 1970 kaufte er mit geliehenen 200’000 Dollar sein erstes Schiff. Mit Geschäftssinn und einer energischen Expansionsstrategie wurde aus dem Einmannunternehmen in nur fünfzig Jahren die grösste Schifffahrtsgesellschaft der Welt. Hunderte Firmen rund um den Globus soll das Schweizer Unternehmen mittlerweile kontrollieren. Doch der Erfolg belastet das Klima: Die Flotte stösst jährlich so viel CO2 aus wie die ganze Schweiz.
Der Schweizer Konzern dockt an
Drei Jahre nachdem MSC Cruises eingestiegen ist, haben sich die Befürchtungen der Anwohnerinnen und Anwohner bestätigt. Im Oktober 2020 lief erstmals eines der Kreuzfahrtschiffe zur Wartung ein. «Seither haben sich die Lebensbedingungen hier stark verschlechtert», sagt ein Anwohner. «Während des Lockdown, der uns vor Atemwegserkrankungen schützen sollte, hatten wir hier vier Kreuzfahrtschiffe, die rund um die Uhr Abgase ausstiessen.»
Vor dem Auftauchen der MSC-Schiffe sei man auf die Dächer gegangen, um mit den Kindern zu spielen und frische Luft zu schnappen, sagt eine andere Person. Das sei heute nicht mehr möglich.
Zu Beginn seiner Karriere, sagt der Arzt Joseph Tonna, sei es fast ein Tabu gewesen, Medikamente zur Erweiterung der Bronchien zu verschreiben. «Jetzt stellen wir täglich Rezepte aus.»
Laut Martin Balzan, leitender Arzt für Atemwegserkrankungen im maltesischen Krankenhaus Mater Dei, handelt es sich bei dem schwarzen Schiffsrauch um Feinstaub mit kohlenstoffhaltigen Aerosolen. In hoher Konzentration kann dieser Rauch Krankheiten verursachen.
Ein weiterer Arzt, dem die Situation der Anwohner Sorge bereitet, ist Joseph Tonna. Wir treffen den Allgemeinmediziner in seiner Praxis am Eingang zur Halbinsel Senglea. Von einem kurzen Auslandsaufenthalt abgesehen, hat der Vierundsechzigjährige sein ganzes Berufsleben in Malta verbracht. Atemwegserkrankungen bei Kindern und Erwachsenen hätten in der Region drastisch zugenommen, sagt er. Zu Beginn seiner Karriere sei es fast ein Tabu gewesen, Medikamente zur Erweiterung der Bronchien zu verschreiben. «Jetzt stellen wir in der Praxis täglich Rezepte aus.»
Als er zum ersten Mal davon hörte, dass MSC den Hafen übernehmen werde, habe er gleich darauf hingewiesen, dass der nötige Landstromanschluss fehle. Doch sein Einwand sei auf taube Ohren gestossen.
Zwar hat die maltesische Agentur für Infrastruktur dieses Jahr die Nordseite der Insel mit Landstromanschlüssen ausgestattet. Doch in der Palumbo-Werft ist nichts passiert. Auf unsere Frage, wann genau der Stromanschluss auch auf der Südseite komme, weicht die Behörde aus. Die Sache sei «in Planung», schreibt sie.
Auf dem Weg zur Arbeit fahre er jeden Tag an der Werft vorbei, erzählt Doktor Tonna. Er sehe jeweils bis zu drei Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig und frage sich: «Ist das der Grund für die zunehmenden Atemwegsprobleme?» Ohne verlässliche Zahlen könne er es nicht mit Sicherheit sagen.
Viele Fragen, keine Antworten
Mit einem Mangel an zuverlässigen Informationen kämpft auch Yana Mintoff. Die zweiundsiebzigjährige Ökonomin ist eine bekannte Figur in der Hafenregion. Mintoff war viele Jahre Politikerin und ist die Tochter des einstigen Labour-Premiers Dom Mintoff.
Seit vielen Jahren setzt sie sich gegen Armut und für die Anliegen der Bewohner ein – unter anderem in einer Gruppierung, in der auch Josianne Micallef aktiv ist. Gemeinsam wollen die Ökonomin und die Marketingfachfrau gegen die Belastung durch die Werft vorgehen und die Behörden zur Verantwortung ziehen. Bisher vergeblich: «Bei jedem Treffen stellen wir dieselben Fragen, ohne je Antworten zu bekommen», sagt Mintoff.

Entweder würden sie an eine andere Behörde verwiesen oder es heisse, man könne aufgrund fehlender Rechtsvorschriften nichts tun. Die erfahrene Aktivistin vermutet, dass die Behörden und Politiker nicht vorwärtsmachen, weil die Verantwortlichen der Palumbo-Werft sie beeinflussen.
«Sie laden Leute zum Essen ein und spenden Geld an Lokalpolitiker, den Regattaclub oder den Kulturverein», sagt sie. «Indem sie sich die Unterstützung verschiedener Leute sichern, versuchen sie, eine gemeinsame Kampagne gegen ihre Werft zu verhindern.»
So verwinkelt das System aus schmalen Gassen ist, das Malta überzieht, so undurchsichtig sind auch die gesellschaftlichen Strukturen. Auf der Insel kennt jeder jeden um ein paar Ecken, viele tragen denselben Nachnamen. Filz, Klüngeleien und auch Korruption sind ein Problem.
Mehrere Gesprächspartner äussern den Verdacht, dass Vertreter lokaler Organisationen deshalb schweigen, weil ihr Fussballclub oder ihre Kirchgemeinde von der Werft finanziell unterstützt werden.
Eine, die dagegen vorgehen wollte, war die Journalistin Daphne Caruana Galizia. Als sie davorstand, mehrere Korruptionsfälle auf höchster Ebene der Politik aufzudecken, explodierte unter ihrem Auto eine Bombe – die Journalistin starb bei dem Attentat. Seit ihrem Tod hat sich in Sachen Transparenz wenig verändert. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International schneidet Malta genauso schlecht ab wie Saudi-Arabien und Ruanda.
Es kann also nicht verwundern, dass die meisten Menschen, mit denen wir reden, nicht namentlich genannt werden wollen. Mehrere Gesprächspartner äussern den Verdacht, dass Vertreter lokaler Organisationen deshalb schweigen, weil ihr Fussballclub oder ihre Kirchgemeinde von der Werft finanziell unterstützt werden. Belegen können sie das nicht. Aber sie hätten selbst miterlebt, wie Menschen, die die Werft kritisierten, in den Vereinen oder der Kirchgemeinde gemieden und isoliert worden seien.
Wir fanden Belege für die Unterstützung von vier Sportvereinen, zwei Kulturinstitutionen und Anlässen zweier Gemeindeverwaltungen innerhalb der Three Cities. Keine dieser Institutionen antwortete auf unsere Frage, ob das Sponsoring sie daran hindere, die Luftverschmutzung in ihrer Gemeinde anzusprechen. Auch die Palumbo Group nahm zu den Vorwürfen nicht Stellung.
«Es ist das erste Mal, dass ich eine solche Werft mitten in einem Wohnquartier sehe.»
Unter diesen Umständen war es für die Aktivistinnen bereits ein Erfolg, dass die maltesische Umweltbehörde ERA vor drei Jahren erstmals eine Messstation in Senglea aufstellte. Die seither gemessenen Werte liegen unter den EU-Grenzwerten für Luftschadstoffe, doch das Vertrauen in die offiziellen Messungen ist klein. Die Daten, die dort erhoben werden, sind lückenhaft, weil die Station immer mal wieder ausfällt. Zudem ist die Messstation nach Ansicht der Anwohnerinnen und Anwohner falsch platziert.
Wie stark also hat die Belastung durch Kreuzfahrtschiffe tatsächlich zugenommen? Wie gut misst die Station der Behörden? Und welche Auswirkungen hat die Werft auf die Gesundheit der Bevölkerung? Um diese Fragen zu klären, haben wir die Messstation von einem Experten prüfen lassen und selbst eine Reihe von Daten ausgewertet.
Mehr Schiffe, mehr Asthma
Es gibt nur wenige Menschen, die sich in Europas Häfen so gut auskennen wie Axel Friedrich. Der ehemalige Mitarbeiter des deutschen Umweltbundesamts wurde durch den VW-Abgasskandal bekannt, bei dessen Aufdeckung er eine zentrale Rolle spielte. Auch nach seiner Pensionierung engagiert sich der Fünfundsiebzigjährige für saubere Luft.
Aktuell misst Axel Friedrich die Luftverschmutzung in verschiedenen Häfen Europas, um für strengere Vorschriften zu weibeln. Als der Umweltexperte im August diesen Jahres Malta besucht, schaut er sich auch die Palumbo-Werft an. «Es ist das erste Mal, dass ich eine solche Werft mitten in einem Wohnquartier sehe», sagt Friedrich. Die Menschen hier würden gleich doppelt belastet: einerseits durch die Emissionen der Werft, andererseits durch die in den Hafen ein- und auslaufenden Schiffe. Das sei aussergewöhnlich.
Aussergewöhnlich sei auch der Standort der offiziellen Messstation. Laut EU-Regelung müsste diese am Ort der höchsten Belastung stehen und möglichst dort, wo viele Menschen betroffen sind. Die Station hier steht hingegen bei einem unbewohnten Aussichtspunkt an der Spitze der Halbinsel – weit weg von der Werft.

Für Friedrich ist offensichtlich: «Die Überwachung der Luftverschmutzung rund um die Werft muss besser werden.» Er sei überrascht, wie wenig zuverlässige Daten vorhanden seien. «Nur wenn die Behörden sauber messen, lässt sich der Vorwurf entkräften, dass die Gesundheit der Menschen geschädigt wird.»
Unsere Recherche aber legt den Schluss nahe: Die Belastung durch Kreuzfahrtschiffe hat seit der Übernahme durch MSC deutlich zugenommen. Basierend auf Daten des Schiffsverfolgungsdienstes vesselfinder.com haben wir alle Schiffsbewegungen in der Palumbo-Werft zwischen Mitte 2018 und Mitte 2023 analysiert.
Was dabei besonders auffällt: Von 2019 auf 2021 hat sich die Anzahl Stunden, während derer sich Kreuzfahrtschiffe und Kreuzfahrtfähren in der Werft befanden, mehr als verdoppelt. Während im Jahr 2019 nur drei Kreuzfahrtschiffe länger als zwei Wochen in der Werft gewartet wurden, waren es 2021 dreizehn.
Im Rekordjahr gab es kaum einen Tag, an dem kein Kreuzfahrtschiff in der Werft lag. Im vergangenen Jahr hat die Belastung leicht abgenommen, die Werte bleiben aber deutlich über denen von vor 2020. Splendida, Musica, Preziosa, Divina, Orchestra oder Fantasia – die Kreuzfahrtschiffe mit all ihren wohlklingenden Namen bleiben eine Belastung für die Bewohner des Städtchens.
In einer Studie konnte ein Zusammenhang zwischen langfristiger Feinstaubbelastung und frühzeitigen Todesfällen in Hafenstädten am Mittelmeer nachgewiesen werden.
Es ist belegt, dass das Leben in der Nähe stark befahrener Häfen krank machen kann. So konnte in einer Kohortenstudie aus dem Jahr 2019 ein Zusammenhang zwischen der langfristigen Feinstaubbelastung und frühzeitigen Todesfällen in verschiedenen Hafenstädten am Mittelmeer nachgewiesen werden. Eine andere Studie kam zum Schluss, dass Anwohnende des italienischen Hafens Civitavecchia ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko aufweisen.
Im Werft- und Hafengebiet auf Malta gab es noch nie eine Untersuchung. Wir haben deshalb bei den maltesischen Behörden Statistiken zum Auftreten von Atemwegserkrankungen angefordert. Besonders aussagekräftig sind die Zahlen zur chronischen Atemwegserkrankung Asthma.
Anteilsmässig verzeichnete der Southern Harbour District, in dem sich Senglea und die Werft befinden, in den Jahren 2021 und 2022 – also nach der Ankunft von MSC – rund fünfzig Prozent mehr Asthmadiagnosen als die anderen fünf statistischen Distrikte im Durchschnitt.
2022 erreichte die Anzahl Diagnosen pro tausend Personen sogar einen absoluten Höchstwert über alle Jahre und Distrikte hinweg. Im Pandemiejahr 2021, als auf der ganzen Insel deutlich weniger Autos und Schiffe unterwegs waren, sind die Werte in allen Regionen stark gesunken – ausser im Southern Harbour District, wo die Kreuzfahrtschiffe gewartet und repariert wurden.
Nachdem wir diverse Zahlen ausgewertet und Statistiken verglichen haben, treffen wir uns erneut mit Joseph Tonna, dem Arzt, der sich um die Bronchien und Lungen seiner Patientinnen und Patienten sorgt. Für ihn bestätigen die Daten seine Befürchtungen. «Wenn aus den Daten hervorgeht, dass ausgerechnet in Senglea vermehrt Asthmafälle auftreten, dürfte die Werft mitverantwortlich sein», sagt er.
Was MSC zu den Vorwürfen sagt
Wir konfrontieren MSC und Palumbo mit den Ergebnissen unserer Recherche und den Vorwürfen der Anwohnerinnen und Anwohner. MSC Cruises geht nicht näher auf die einzelnen Punkte ein und antwortet mit einem allgemeinen Statement:
«Wir arbeiten daran, dass die Gemeinden, in denen wir tätig sind, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und ökologisch profitieren», schreibt das Unternehmen. Man setze auf Innovationen zur Reduzierung von Emissionen. Niederspannungslandstrom für Frachtschiffe sei in der Palumbo-Werft vorhanden, man «unterstütze dessen Gebrauch, wo immer möglich».

Was den für den Betrieb der Kreuzfahrtschiffe benötigten Hochspannungslandstrom betrifft, sei man «stolz zu sagen», dass die Kabel verlegt worden seien und «in Kürze aktiviert werden, vorbehaltlich der Zustimmung durch die lokalen Behörden», wie MSC Cruises schreibt. Mit der Massnahme wolle man die Luftqualität vor Ort verbessern und den Lärm erheblich reduzieren.
Auch der MSC-Partner Palumbo Group verweist auf das Ausbauprojekt der maltesischen Agentur für Infrastruktur und hält fest, man unterstütze «alle Projekte, die zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen». Ein konkretes Datum für die Inbetriebnahme der Landstromanschlüsse jedoch nennt keines der beiden Unternehmen.
Kreuzfahrtschiffe benötigen so viel elektrische Energie wie eine Kleinstadt. Sie an Land an das Stromnetz anzuschliessen, wäre eine einfache Lösung, um die grosse Umweltbelastung durch die Werft zu mindern.
Seit über drei Jahren fordern Anwohner und Aktivistinnen genau das. Josianne Micallef will die Hoffnung auf Steckdosen nicht aufgeben. «Eigentlich ist es ganz einfach», sagt sie. «Wir wollen zuverlässige Informationen. Und wir wollen vor den Abgasen dieser Riesenschiffe geschützt werden.» Damit sie irgendwann auf ihrem Balkon wieder frische Luft einatmen kann.
Christian Zeier ist redaktioneller Leiter des Recherche-Teams Reflekt. Für «Das Magazin» schrieb er zuletzt über die CS-Geschäfte in Moçambique.
Julian Delia ist freier Journalist in Malta.
Die Recherche wurde unterstützt von journalismfund.eu.
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