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Meinung

AboKolumne Rudolf Strahm
Der Nationalbank-Gewinn gehört dem Volk

Fritz Zurbrügg, Thomas Jordan und Andrea Maechler bilden das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank.

Die Corona-Krise wird dieses Jahr ein Defizit von 30 bis 40 Milliarden Franken in der Bundeskasse verursachen. Bei den Kantonen und Gemeinden sind es weitere Defizitmilliarden.

Dem plötzlich defizitär gewordenen Staat steht die milliardenschwere Schweizerische Nationalbank (SNB) gegenüber. Bei ihr sind jetzt gigantische 800 Milliarden Franken Staatsvermögen gebunkert. Diese sind in Wertpapieren von ausländischen Staatsanleihen und Aktien investiert und werfen jährlich Milliardengewinne aus Zinserträgen und Dividenden ab. Letztes Jahr waren es 16 Milliarden Franken.

Anfang dieses Jahres waren rund 80 Milliarden Franken aus diesen Erträgen in der sogenannten Gewinnausschüttungsreserve bei der Nationalbank aufgelaufen. Um Kritikern zuvorzukommen, bot das dreiköpfige SNB-Direktorium an, dieses Jahr dem Staat 4 statt 2 Milliarden Gewinn auszuschütten. Ein Drittel erhält der Bund (1,3 Mrd Fr), und zwei Drittel gehen an die Kantone.

Diese Diskrepanz führte zur zunehmenden Kritik an der ängstlichen Batzenklemmer-Mentalität der konservativen Nationalbank-Leitung. Heute wird breit, von links bis rechts im politischen Spektrum, eine Revision der Gewinnausschüttungspraxis gefordert, zumindest auch für die Negativzinserträge. Denn der Reingewinn der Nationalbank gehört laut Verfassung dem Volk, also den Kantonen und dem Bund.

Widersprüchliche Wunschlisten

Wenn es um die schwierige und komplexe Nationalbank-Bilanz geht, muss allerdings vor Ideologien und Sektierertum gewarnt werden. Was haben wir nicht schon alles erlebt! Forderungen nach «Gold-Volldeckung» des Notenumlaufs, nach «Nationalbank-Vollgeld», für «Helikoptergeld», dann auch geschürte Angst vor «Hyperinflation», Vorwurf der «Falschmünzerei» bei der Bilanzausdehnung. Ebenso blockieren die widersprüchlichen Wunschlisten für die Verwendung von Nationalbank-Gewinnen die Reform.

Konzentrieren wir uns jenseits dieser Ideologien und Interessen auf die Gewinnausschüttungspraxis der Nationalbank. Bundesrat Ueli Maurer hat als Finanzminister das Tabu mit seiner Anregung gebrochen, den Bundesanteil aus dem Nationalbank-Gewinn für die Tilgung der Corona-Schulden zu binden. Viele Ökonomen unterstützen heute die Revision der Gewinnausschüttungspraxis. Allerdings wehrt das heutige SNB-Direktorium alles ab und erhält stets Unterstützung bei der orthodoxen Wirtschaftsredaktion der NZZ.

Dennoch zeichnet sich heute in manchen Fragen ein neuer Konsens zur Nationalbank-Politik ab:

Erstens soll die Gewinnpraxis neu geregelt werden. Der heutige Begriff der Gewinnausschüttungsreserve ist missverständlich. Denn dieser Topf wird nicht nur mit den SNB-Kapitalerträgen oder Teilen davon geäuffnet, sondern das Direktorium belastet nach eigenem Gutdünken anfallende Buchverluste auf den Währungsreserven auch diesem Fonds. Dies geht dann zulasten von Bund und Kantonen. Es braucht bei der Reservenbildung eine klare Trennung zwischen realem Gewinn aus Kapitalerträgen (diese gehören dem Staat) und einem Rückstellungsfonds aus Buchgewinnen und Buchverlusten.

Ein Mehrjahresdeal wird ausgejasst

Zweitens ist wachsender Konsens vorhanden, dass bei der Nationalbank eine regelbasierte, verstetigte Gewinnausschüttungspraxis notwendig ist. Immer noch erleben wir das staatspolitisch unrühmliche Spiel, dass die Gewinnausschüttung an Bund und Kantone jeweils zwischen dem SNB-Direktorium und dem Finanzdepartement mit einem Mehrjahresdeal ausgejasst werden muss. Denkbar ist zum Beispiel eine Regelung, dass 80 Prozent der jährlichen Kapitalerträge aus den Nationalbank-Vermögen in einen dreijährig geglätteten Ausschüttungsfonds zugunsten von Bund und Kantonen übertragen werden. Eine jährliche Gewinnausschüttung in der Grössenordnung von 10 Milliarden Franken ist realistisch.

Drittens wird auch die Anlagepolitik für das immense Nationalbank-Vermögen – also den Staatsschatz – infrage gestellt. Es gibt weltweit keine öffentliche Institution, in der ein derartiger Kapitalblock von nur drei Personen verantwortlich verwaltet wird. Gefordert wird mindestens ein Anlagekomitee aus externen, unabhängigen Fachexperten (nicht Politikern), die vom Bankrat oder vom Bundesrat ernannt werden. Einige fordern sogar eine Ausgliederung eines Teils des SNB-Staatsvermögens in eine Art Staatsfonds.

Viertens wird sich die Politik nicht ewig um die Governance-Frage, also die Organisation der heutigen SNB-Führung und die Bedeutungslosigkeit des Bankrats, drücken können. Das Modell eines nur dreiköpfigen Direktoriums stammt von 1907 und wird der heutigen wirtschaftspolitischen Machtfülle der Notenbank nicht mehr gerecht.

Für die Vermögensbewirtschaftung und die Gewinnausschüttung ist der Staat zuständig.

Die Nationalbank-Leitung und ihre Zugewandten flüchten derzeit offensiv in die Schutzbehauptung des Unabhängigkeitsdogmas. Diese heilige Doktrin muss hier geklärt werden: Die Notenbank-Unabhängigkeit ist richtig und unbestritten, wenn es um die Geld- und Währungspolitik geht. Aber für die Vermögensbewirtschaftung und die Gewinnausschüttung ist der Staat zuständig. Denn die Nationalbank-Gewinne gehören dem Staat!

Es ist eine ungeheuerliche Anmassung, wenn die Nationalbank-Leitung und ihre Wasserträger ihr Unabhängigkeitsdogma auf die ganze Vermögensbewirtschaftung ausweiten. Diese extensive Interpretation des Unabhängigkeitsdogmas durch die SNB ist weder verfassungs- noch gesetzeskonform.

Es braucht nun etwas politischen Druck und Mut, dem Nationalbank-Direktorium diesen staatspolitischen Sachverhalt klarzumachen. Von sich aus wird es sich nicht bewegen. Die Fehlleistung durch mangelnde Gewinnausschüttung zahlen allerdings wir alle, die Steuerzahler.