Interview

Ökonom Adriel Jost: «Der Umgang mit den Banken erinnert an Wahnsinn: Man tut immer wieder dasselbe und erwartet andere Ergebnisse»

Damit das Bankwesen sicher ist, sollte eine UBS 30 Prozent Eigenkapital halten – so wie andere Firmen auch. Das sagt der Ökonom Adriel Jost. Zum Expertenbericht des Bundes sagt er: Den hätte auch die Bankiervereinigung schreiben können.

Christoph Eisenring, Thomas Fuster 6 min
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Wird man auch die neue UBS einmal retten müssen? – «Die Anreize sind so gesetzt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist.»

Wird man auch die neue UBS einmal retten müssen? – «Die Anreize sind so gesetzt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist.»

Stefan Wermuth / Bloomberg

Herr Jost, sind Banken normale marktwirtschaftliche Unternehmen?

Man tut so, als wären sie es, aber sie sind es nicht. Man merkt das daran, dass man sie nicht untergehen lässt. Damit ist schon ein Kernelement der Marktwirtschaft verletzt. Marode Firmen müssen in Konkurs gehen können.

Banken stehen somit ausserhalb der Marktwirtschaft?

So wie wir heute die Banken behandeln, ist das so.

Welche Unterstützung erhalten Banken?

Banken können sich günstiger finanzieren als andere Firmen, weil der Staat sie nicht fallenlässt. Zum einen erhalten sie unsere Einlagen zu sehr günstigen Konditionen, denn wenn Kunden plötzlich viel Geld abziehen, hilft die Notenbank mit Liquidität aus. Zum anderen kann eine Bank auch längerfristiges Fremdkapital zu besseren Konditionen aufnehmen, weil ihre Gläubiger wissen, dass sie bei einer Rettung kaum Geld verlieren.

Adriel Jost, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern.

Adriel Jost, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern.

PD

Können Sie diesen Finanzierungsvorteil beziffern?

Er beträgt etwa einen Prozentpunkt. Da das Schweizer Bankensystem Verbindlichkeiten über 3000 Milliarden Franken aufweist, entspricht der Vorteil einer Subvention von jährlich 30 Milliarden Franken.

Also jeder Einwohner zahlt 3400 Franken pro Jahr für die Banken?

Es ist eine implizite Subvention, es fliesst also kein Geld. Die Kosten für den Steuerzahler spiegeln sich in erster Linie in den alle paar Jahre wiederkehrenden Krisen, in denen ihm Risiken aufgebürdet werden bei der Rettung einer Bank.

2008 musste die UBS gerettet werden, 15 Jahre später die Credit Suisse. Sind wir in 15 Jahren mit der neuen UBS wieder so weit?

Die Anreize sind so gesetzt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist. Es gibt die besprochene implizite Subvention. Das öffnet übertriebener Risikoneigung Tür und Tor.

Sollten wir uns nicht einfach mit solchen Krisen abfinden? In der Schweiz hat der Steuerzahler bisher ja Gewinne gemacht damit, sowohl bei der UBS als auch bei der CS.

Es ist eine Abwägung, einverstanden. Man muss die Vorteile einer solchen Industriepolitik für das Bankwesen abwägen mit den Kosten. Man setzt aber meist zu grosse Hoffnungen in die Industriepolitik. Man darf sich zudem nicht blenden lassen von zwei spezifischen Fällen, die für den Schweizer Steuerzahler glimpflich ausgegangen sind. Irland oder Island sind Fälle, bei denen ganze Länder durch Bankenkrisen erschüttert wurden.

In den letzten Jahren wurden enorme Ressourcen in eine neue Bankenregulierung gesteckt. Und jetzt musste man doch wieder retten. Was läuft da falsch?

Auch die vom Bund eingesetzte Expertengruppe «Bankenstabilität», die letzte Woche ihren Bericht vorgelegt hat, ist rat- und ideenlos. Mich erinnert das Ganze an den Spruch von Albert Einstein: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Man denkt nur in einem sehr engen Rahmen. Man macht kleine Adjustierungen, die aber wenig bewirken.

Gibt es also keine Möglichkeit, eine Bank abzuwickeln, ohne dass der Staat ins Risiko geht?

Wenn eine Bank deutlich mehr Eigenkapital hätte, hätte sie im Fall einer sich verschärfenden Krise ein dickeres Polster. Mindestens so wichtig ist, dass eine Bank genügend Sicherheiten hat, so dass sie im Notfall von der Notenbank Liquidität beziehen kann. So kann man einen Bank-Run verhindern, ohne dass der Staat die Risiken dafür tragen muss.

Derzeit müssen die Banken nur etwa 5 von 100 Franken in der Bilanz als hartes Eigenkapital halten. Vor 100 Jahren waren es noch 30 Franken. Müssen wir auf dieses Niveau zurückkehren?

Hier stellt sich die grosse Frage, wie mutig man ist und was man will. Will man die implizite Subvention weghaben? Dann darf man nicht mehr zulassen, dass sich die Banken übermässig verschulden. Deshalb müsste man in Richtung 30 Prozent Eigenkapitalquote gehen, was auch der unteren Grenze von gesunden Unternehmen in der übrigen Wirtschaft entspricht.

Sie fordern 30 Prozent, wir sind bei 5 Prozent . . .

Mir ist auch klar, dass das utopisch ist, weil wir so weit weg davon sind. Das ist wie aus einer anderen Welt. Aber wenn wir nicht in diese andere Welt gehen, müssen wir als Gesellschaft weiterhin sehr grosse Risiken tragen.

Rechnen wir das einmal durch: Wenn die Schweizer Banken auf 30 Prozent kommen wollten, müssten sie etwa 660 Milliarden Franken an Eigenkapital aufbringen, wenn die durch SNB-Liquidität gedeckten Einlagen nicht einberechnet werden.

Für die neue UBS läge der Bedarf bei 338 Milliarden Franken, für andere grosse Banken im zweistelligen Milliardenbereich. Man müsste den Banken sehr lange Übergangsfristen von 30 Jahren oder mehr gewähren. Das zeigt, wie weit entfernt die Banken von marktwirtschaftlichen Bedingungen sind.

Über diese 30 Jahre müsste sich das Schweizer Bankensystem jährlich 22 Milliarden Franken an Kapital beschaffen. Das ist unrealistisch.

Ja. Doch man muss sich ein Ziel setzen und dann in diese Richtung gehen. Das ist besser, als nichts zu tun und zu sagen, das Ziel sei sowieso zu weit weg. Denkbar sind auch Zwischenziele oder die Anwendung solcher Regeln nur auf ganz grosse Banken, konkret die UBS.

Die Expertengruppe widerspricht Ihnen. Die Gruppe findet, dass sich keine weitere Verschärfung der Eigenmittelvorschriften aufdrängt.

Diesen Expertenbericht hätte auch die Bankiervereinigung schreiben können, das wäre für den Steuerzahler günstiger gekommen. Gefordert wird darin ein einfacherer Zugang zu Liquidität, indem die SNB dazu aufgefordert wird, bezüglich Sicherheiten weniger strenge Regeln aufzustellen. Die Anreize zur Risikonahme auf Staatskosten werden nicht zu verringern versucht. Auch bleibt die hochriskante Verschuldung unangetastet. Ich erinnere daran: Gegenwärtig sind Schweizer Banken im Schnitt zu 93 Prozent verschuldet, die Gesamtheit der kotierten Firmen hingegen zu 47 Prozent.

Wie erklären Sie sich die Stossrichtung des Expertenberichts?

Ich habe keine Erklärung und bin fassungslos. Vielleicht hat es mit der Zusammensetzung der Gruppe zu tun, in der auch Bankvertreter sitzen. Wenn man acht Meinungen auf einen gemeinsamen Nenner bringt, ist das Resultat wohl zwangsweise zahnlos. Enttäuschend ist der Mangel an Kreativität. Die Gruppe verliert sich in Details und vernachlässigt das grosse Ganze. Man schaut auf die Bäume und sieht den Wald nicht mehr.

Die Umsetzung der Expertenvorschläge würde das Bankensystem also nicht sicherer machen?

Im Gegenteil, das System würde unsicherer. Die Vorschläge sind kontraproduktiv. Man erhöht die Subventionen der Banken und versucht Retuschen im Too-big-to-fail-Regime, obwohl sich gezeigt hat, dass dieses Regime nicht funktioniert.

Sie betonen die Risiken der neuen Grossbank für die Schweiz. Gibt es auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen?

Der Bericht der Expertengruppe startet mit solchen Vorteilen. Und selbstverständlich muss man abwägen zwischen Vor- und Nachteilen. Das sollte aber aus einer dynamischen Sicht erfolgen. Wenn also in Zukunft die UBS bestimmte Dienstleistungen nicht mehr anbieten würde, würde das nicht bedeuten, dass sie von niemandem angeboten würden. Andere Anbieter würden die Lücken schliessen.

Es ist also nicht klar, dass der volkswirtschaftliche Nutzen überwiegt?

Nein. Bei dieser Diskussion geht es oft um immaterielle Dinge. Etwa um den Stolz, über eine Grossbank zu verfügen. Mit diesem Stolz spielt nicht nur die UBS. Auch ich bin stolz. Meine Grossmutter war die erste Lehrtochter beim damaligen Bankverein in Zürich. Stolz ist nicht grundsätzlich falsch. Aber er verleitet zu falschen Schlüssen.

Auch bei den Behörden?

Ja, auch Finanzminister, Regulatoren und Notenbanker sind lieber für einen grossen Finanzplatz zuständig als für einen kleinen. Da ist man wichtiger.

Die Schweizer Behörden tendieren also aus Gründen des Stolzes zu einer Industriepolitik, bei der Grösse per se als wünschenswert gilt?

Die Gefahr besteht. Wobei die Behörden auch nicht grundsätzlich gegen Grossbanken sein sollten. Ich bin ebenfalls nicht per se gegen Grossbanken, sondern nur gegen Grossbanken, die massiv vom Steuerzahler subventioniert werden.

Experte für Banken und Geldpolitik

tf./cei. Adriel Jost ist Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Zuvor war er Chefökonom beim unabhängigen Wirtschaftsberatungsunternehmen Wellershoff & Partners und langjähriger Mitarbeiter der Schweizerischen Nationalbank. Der promovierte Ökonom präsidiert den Think-Tank Liberethica, der aus liberaler Warte Brücken schlägt zwischen Ethik, Wirtschaft und Politik.

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