Ostschweizer Coiffeur lässt Junge gratis arbeiten

Monsieur Pierre, es geht auch anders!

Patricia D'Incau

Die Hairstylist Pierre AG beschäftigt Jugendliche ohne Lohn. Das Unternehmen spricht von Ausbildung. Das richtige Wort ist: Ausbeutung.

SO GEHT’S NICHT: Unia-Jugend-Sekretärin Kathrin Ziltener vor der «Pierre»-Filiale in Winterthur. (Foto: Anja Wurm / BLICK)

Den ganzen Tag auf den Beinen, lange Arbeitszeiten und wenig Lohn. Der Alltag der Coiffeurangestellten ist hart. Und manchmal sind die Arbeitsbedingungen sogar skandalös. Wie bei der Ostschweizer Coiffeurkette Hairstylist Pierre AG. Denn: Eine Lehrstelle bekommt dort nur, wer zuerst gratis chrampft.

Ein Jahr lang müssen die Jungen die firmeneigene P2 Hairacademy besuchen, bevor es den Lehrvertrag gibt – eventuell. Denn eine Garantie, dass sie nach einem Jahr Gratisarbeit eine reguläre Lehre machen können, haben die Schulabgänger nicht. An zwei Tagen pro Woche arbeiten die Praktikantinnen und Praktikanten – meist 15- und 16jährige – im Salon. An echten Kunden, zum Rabattpreis. Einen Lohn bekommen die Jugendlichen nicht. Dafür eine Rechnung: für Arbeitsmaterial wie Scheren und Bürsten sowie Spesen.

«SKLAVEREI»

Die Berner Coiffeur-Legende Gianni Izzo weiss, wie hier gerechnet wird. «Wenn man Nebentätigkeiten wie Bodenwischen, Haarewaschen und Färben an unbezahlte ‹Praktikanten› abgeben kann, kann man mehr Kundinnen und Kunden bedienen und verdient entsprechend mehr.» Zwar, so Izzo, wenden dieses Prinzip die meisten Coiffeurketten an. Dass aber unter dem Vorwand «Ausbildung» ein ganzes Jahr kein Lohn bezahlt werde, sei doch besonders dreist.

Unia-Jugend-Sekretärin Kathrin Ziltener sagt zum Geschäftsmodell von «Pierre»: «Das grenzt an Ausbeutung.» Deshalb hat die Unia-Jugend den Coiffeur kürzlich mit dem «A. S. I.-Award» ausgezeichnet. Einem Schmähpreis für besonders schlechte Lehrbetriebe. Das hat Wellen geworfen. In den Kommentarspalten, etwa auf blick.ch, hagelte es Kritik: «Sauhund! So eine!» meint ein Leser. «Schäm dich, Pierre!» finden andere. Und: «das nennt man moderne Sklaverei». Die meisten Blick-Lesenden sind sich einig: die Coiffeurkette gehört boykottiert.

Beim Branchenverband Coiffure Suisse gibt man sich zugeknöpft. Branchenüblich sei die Methode der Coiffeurkette nicht. Weiter nimmt der Verband jedoch keine Stellung. «Freie Marktwirtschaft », heisst es dort. Die Hairstylist Pierre AG äussert sich nicht weiter zu den Vorwürfen. Auf Anfrage verweist das Unternehmen auf ein Treffen mit der Unia, das nächste Woche stattfinden soll. «Wir wollen dieses Gespräch ergebnisoffen führen, ganz im Sinne einer guten Sozialpartnerschaft, und der Unia unser Ausbildungskonzept erklären », lässt die Firma schriftlich mitteilen.

GEGENMODELL

Dass es auch anders geht, zeigt der Blick in die Zentralschweiz. Dort leiten Thomas Fuchs und seine Geschwister ein Coiffeurunternehmen mit fünf Filialen. Wie «Pierre» betreibt auch Fuchs eine hauseigene Academy. Nicht für Praktikanten, sondern für die rund 30 Lernenden, die bei Fuchs ihre Ausbildung machen. «Sie absolvieren eine normale Lehre mit Berufsschule und Arbeit im Salon», sagt Fuchs. Nur, dass die Jugendlichen eben auch noch Tage in der Academy verbringen. Denn: «Im Gegensatz zur Arbeit im Salon können die Lernenden dort den ganzen Tag üben, ohne unterbrochen zu werden.» Verdienen tue er daran – im Gegensatz zu «Pierre» – nichts. Die Modelle kämen gratis. Und auch die Lernenden kostet die Academy nichts. «Wir verlangen kein Schulgeld und zahlen den normalen Lohn», sagt Fuchs. Das heisst: 500 Franken im ersten Lehrjahr. Plus 100 Franken Prämie für Lernende, die besonders herausstechen.

Und nach der Lehre haben die Ausgebildeten einen Anfangslohn von 4000 Franken auf sicher. Diesen Mindestlohn hat Coiffeurmeister Fuchs bereits 2013 eingeführt, lange vor dem aktuellen GAV – der nach wie vor nicht allen 4000 Franken garantiert.

KEINE REGELUNG

Unia-Frau Ziltener sagt: «Wer Praktikanten gratis arbeiten lässt, spart Lohnkosten und kann die Preise drücken.» Unbezahlte Praktika vor der Lehre seien demnach kein Ausbildungs-, sondern ein Geschäftsmodell.

Illegal sind solche Methoden allerdings nicht. Weil Praktika im dualen Bildungssystem nicht vorgesehen sind, gibt es kaum Regelungen. Nur in den Kantonen Genf, Neuenburg und Bern existieren Einschränkungen. Für Kathrin Ziltener ist klar: «Schnuppertage, bei denen die Jugendlichen herausfinden können, ob ihnen ein Job gefällt, sind in Ordnung.» Aber: Mehrmonatige Praktika vor der Lehre gehörten verboten. «Mit der dreijährigen Lehre sind die Jugendlichen gut gerüstet», sagt die Unia-Frau.


Peter BinkertDer Haarabschneider

Die Firma Hairstylist Pierre AG betreibt zwölf Filialen im Raum Zürich – St. Gallen – Thurgau. Nicht zu der Kette gehört die gleichnamige Filiale in Amriswil. Sie wird unabhängig geführt. Teil des «Pierre»-Unternehmens sind hingegen 15 Salons der Billiglinie «Cut and Colour» und die P 2 Hairacademy. Dazu kommen 14 Lehrsalons, die direkt an die «Pierre»-Filialen angeschlossen sind und von den rund 60 Stiftinnen und Stiften in Eigenregie geführt werden. Der Haarschnitt kostet dort weniger als den halben Preis. #Supergünstig und #Superselbständig nennt das Unternehmen dieses Modell.

Peter «Pierre» Binkert. (Foto: TELETOP)

20 MILLIONEN UMSATZ. Gegründet und geprägt wurde die Firma vom Ostschweizer Coiffeurmeister Peter «Pierre» Binkert. Rund vierzig Jahre stand er an der Spitze des Unternehmens. Die Leitung hat heute Martin Krupp, der zuvor vorwiegend in der Immobilien- und Finanzdienstleistungsbranche tätig war. Binkert und Krupp sind Mitglieder des vierköpfigen Verwaltungsrats. Zusammen mit Marc Mettauer, Chef des Bauunternehmens W. Schmid AG, und Rolando Benedick, dem ehemaligen Verwaltungsratspräsidenten von Valora und Manor.

Die Hairstylist Pierre AG beschäftigt über 250 Angestellte und verzeichnete 2012 einen Umsatz von fast 20 Millionen Franken. Neuere Zahlen nennt das Unternehmen nicht. (pdi)

1 Kommentar

  1. christian fischer

    In der Coiffeurbranche liegt einiges im argen. Haben es Coiffure Suisse und ihre Partner UNIA und SYNA tatsächlich nicht geschaft, im neuen GAV eine Gratifikation einzubauen, vom 13. rede ich schon gar nicht. Beschämend!
    Bin selber Coiffeur und rate jungen Personen, bei Lidel eine Lehre zu machen, Mindestlohn nach einer Lehre Fr. 4’500.-, 5 Wochen Ferien 13. Monatslohn!
    Lidel „Lohnt“ sich.
    Noch Fragen?

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.