Gender-Data-Gap: Die Arbeitswelt ist eine Männerwelt

Sexistischer Roboter lässt lieber Frauen sterben

Darija Knežević

So gefährlich sind sexistische Roboter, aggressive Chemi­kalien oder unpassende Arbeitskleider im Alltag für Frauen.

GESCHLECHTERBLIND: Weil der Mann die Norm ist, gehen Frauen oft gleich ganz vergessen, ob beim Küchenbau oder bei der Entwicklung von Algorithmen. (Foto: iStock)

Der Standard ist der Mann – überall. Auch dort, wohin sexistische Witze die Frauen verbannen: in der Küche. Dort sind die Schränke oft viel zu hoch für die Durchschnittsgrösse ­einer Frau. Nicht nur zu Hause, sondern auch am Arbeitsplatz ist alles am Mann orientiert. Christine Michel, Fachsekretärin für Gesundheitsschutz bei ­der Unia, sagt: «Wie gefährlich der Arbeitsplatz für Frauen sein kann, das ist kaum ein Thema. Dazu gibt es schlicht zu wenig Daten.»

Diese Datenlücke nennt sich Gender-Data-Gap. Damit wird auf­gezeigt, dass Daten zum weiblichen Körper in vielen Bereichen zu wenig oder auch gar nicht berücksichtigt werden. Das ist kein alter Zopf, sondern auch in neusten Technologien der Fall.

Datenlücken können für Frauen tödlich sein.

KI SORTIERT FRAUEN AUS

Nimmt man Algorithmen und die künstliche Intelligenz (KI) genauer unter die Lupe, fällt auf: Die Systeme sind auch hier nur auf den Mann zugeschnitten und zudem sexistisch. Zum Beispiel die App Lensa, die anhand von Selfies sogenannte Avatare erstellt. Während Männer als Astronauten oder Superhelden dargestellt werden, stehen bei Frauen volle Lippen, grosse Brüste und weitere sexistische Motive im Vordergrund. Doch auch vor der Arbeitswelt macht die Diskriminierung durch KI nicht Halt: In Bewerbungsverfahren werden Dossiers von Frauen durch KI automatisch aussortiert, weil die ­Jobanforderungen an Männern orientiert sind.

Die KI wurde jedoch nicht sexistisch programmiert, sondern widerspiegelt unsere Gesellschaft. KI lernt aus Büchern, Artikeln und Internetseiten. Afke Schouten, KI-Expertin und Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), erklärt die künstliche Intelligenz im «SonntagsBlick»: «Sie liest, wie über Frauen geschrieben wird, welche Rolle sie in unserer Gesellschaft einnehmen und in der Vergangenheit eingenommen haben. Die KI hält uns nur den Spiegel vor.» Auf der Website Moral Machine, lanciert vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), entscheiden Nutzerinnen und Nutzer über brenzlige Verkehrssituationen. Etwa, ob bei einem Unfall eine Fussgängerin überleben soll oder die Insassen des Unfallautos. Stellt man die­selben Fragen einem Textroboter, gibt dieser schockierende Antworten: Die künstliche Intelligenz entscheidet sich häufiger dazu, Männerleben zu retten als Frauenleben.

UNGESCHÜTZT IM DIENST

Dieses Beispiel zeigt: Datenlücken können für Frauen tödlich sein. Das belegt auch das Buch «Unsichtbare Frauen» der britischen Journalistin Caroline Criado-Perez (work berichtete: rebrand.ly/maennerwelt).

Criado-Perez schreibt in ihrem Buch von einer spanischen Polizistin, die von ihren Chefs gebüsst wurde, weil sie sich selber eine passende kugelsichere Weste zulegte, statt die Standard-Männergrösse zu tragen. Arbeitskleider, besonders in Sicherheitsberufen, sind auf Männer zugeschnitten. So sind kugel­sichere Westen, Waffengürtel oder Stiefel für Frauen oftmals viel zu gross. Und hier geht es nicht nur um Komfort. Die unpassende Arbeitskleidung bringt gleich zwei Gefahren mit sich: Erstens sind die Frauen nicht ausreichend geschützt, und zweitens können sie sich aufgrund der Kleiderschnitte nicht gut bewegen. Unia-Gesundheitsschutz-Expertin Michel sagt dazu: «In solchen Branchen muss man die Mitarbeiterinnen bei der Auswahl von passenden Arbeitskleidern besser miteinbeziehen.»

GIFTIGE CHEMIKALIEN

Auch andernorts wird zu wenig hingeschaut: etwa in Nagelstudios. Dort sind fast nur Frauen tätig, häufig Migrantinnen. Sie feilen und lackieren Hunderte Nägel, kennen die gesundheitlichen Folgen ihrer Arbeit aber nicht. An ihrem Arbeitsplatz sind ­­sie täglich giftigen Chemikalien wie Nagellackentfernern oder Gels ausgesetzt. Nach der Arbeit wartet die unbezahlte Arbeit zu Hause, wo sie durch Putzmittel erneut mit Che­mikalien in Kontakt kommen. Die Inhaltsstoffe werden oft mit Krebs, Fehlgeburten und Lungenkrankheiten in Verbindung gebracht. Doch er­­­­forscht ist dieses Gebiet bisher viel zu wenig.

Unia-Frau Christine Michel betont: «Wo die Daten zur Frau fehlen, müssen sie dringend durch Studien oder Forschungen erhoben werden.» Dabei hilft es aber, dass sich Frauen- und Männerberufe immer häufiger vermischen. «Seit es immer mehr Malerinnen gibt, werden in dieser Branche Risikoanalysen für den Mut­terschutz erarbeitet», sagt Michel. ­So erkenne man Gefahren nicht nur für Schwangere, sondern für Frauen generell.


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