Tesla Semi BEV-Truck
Drei Plaid-Motoren und 1.000-Volt-Architektur

Drei Jahre später als angekündigt, startet tatsächlich die Auslieferung des Tesla Semi – an namhafte Kunden. Nun verrät Tesla-Chef Elon Musk interessante Technik-Details des Elektro-Lkw.

08/2022, Tesla Semi Elektro Lkw Lastwagen Sattelschlepper
Foto: Tesla

Bereits im November 2017 rollte Tesla-Chef Elon Musk den Semi genannten Elektro-Lkw erstmals ins Rampenlicht und kündigte bei dieser Gelegenheit die Produktion für 2019 an. Ein Termin, der nicht zu halten war. Kurzzeitig sah es so aus, dass 2020 zumindest eine Kleinserie an die ersten Vorbesteller ausgeliefert werden könnte. Aber auch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Irgendwann sprach Tesla von 2021, doch auch dieses Jahr verstrich, ohne dass der elektrisch angetriebene Sattelschlepper auf den Markt kam.

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Nun ist es soweit: Bei einem Auslieferungs-Event im US-Bundesstaat Nevada am Donnerstag (1. Dezember 2022) übergab Musk die ersten Serienexemplare an die Firma Pepsi, die insgesamt 15 Semi-Exemplare bestellt hat. Der Lebensmittelkonzern gehörte zu jenen Unternehmen (s.u.), die frühzeitig angekündigt hatten, Teile ihrer Diesel-Lkw-Flotte gegen den elektrischen Tesla Semi eintauschen zu wollen.

Tesla Semi ausschließlich mit 4680-Zellen

Bereits früher im Jahr 2022 hatte Musk Details zu den Problemen veröffentlicht, die hinter dem verzögerten Produktionsstart steckten. Neben dem Gewicht der Batterie war es vor allem die noch nicht ausreichende Energiedichte der Akkus, die einer Auslieferung entgegenstanden. Mit den klassischen Tesla-Rundzellen an Bord waren die ursprünglich versprochenen 800 Kilometer Reichweite Musk zufolge zwar problemlos möglich. Allerdings würde der Semi dabei mindestens eine Tonne Nutzlast verlieren – ein echtes Killer-Argument in der Branche.

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Tesla setzt im Semi deshalb ausschließlich die auf dem Battery-Day 2020 vorgestellten neuen Zellen ein. Sie sind 80 Millimeter (Model S: 65, Model 3: 70) hoch und haben einen Durchmesser von 46 Millimetern (Model S: 18, Model 3: 21). Die neuen 4680-Module sollen fünfmal mehr Energie speichern (klar, sie haben gut fünfmal so viel Volumen). Bei vergleichbarer Größe der gesamten Batterie sollen sie aber auch 16 Prozent mehr Reichweite bringen. Damit sei dann, laut Elon Musk, sogar eine Reichweite von 1.000 Kilometern (bei voller Zuladung) möglich. Weil die neuen Zellen auch im Semi konstruktiv verbaut werden können, das heißt ohne schweren Tragboden, soll der Semi trotz der Riesen-Reichweite nicht mehr wiegen als ein vergleichbarer Diesel-Sattelschlepper. Das Problem: Noch kann Tesla die neuen Zellen noch gar nicht in großen Stückzahlen produzieren. Musk selbst verwies wiederholt auf immense Produktionsrisiken, die im Zusammenhang mit den neuen Zellen zu lösen seien.

800 km Reichweite bei voller Beladung

In einer E-Mail kündigt der E-Auto-Bauer im vergangenen Jahr weitere technische Verbesserungen an, von denen der Semi noch vor dem Marktstart profitieren soll. Dem Hersteller sei es gelungen, die Reichweite, Effizienz und Zuverlässigkeit zu steigern. 500 Meilen (805 Kilometer) habe ein voll beladener Tesla Semi bei Testfahrten schon geschafft, twitterte Musk im November 2022. Die Tesla-Website verlautbart zudem eine Modellversion mit 300 Meilen (483 Kilometern) Reichweite. Wann diese kommen wird, ist derzeit jedoch ebenso unklar wie der Zeitpunkt der Markteinführung eines potenziellen 1.000-Kilometer-Semis. Alle Reichweitenangaben beziehen sich auf einen vollgeladenen Lastzug, betont Musk. Die maximale Nutzlast betrage 82.000 Pfund (umgerechnet 37,2 Tonnen).

Die Aufladung der Elektro-Lkw soll an flüssigkeitsgekühlten Megachargern erfolgen, die "Tesla V4-DC-Supercharger" nennt und 2023 einführen will. Dafür hat der Autohersteller einen Ladestecker namens MCS Connector (MCS: Megawatt Charging Solution) entwickelt. Damit soll sich ein Megawatt Strom durch ein normalgroßes Kabel schleusen lassen, in dem auch Kanäle für Kühlflüssigkeit verlaufen. Die Standards für Megawatt-Laden sind aktuell noch in der Entwicklung. Ein Megawatt entspricht 1.000 Kilowatt, wobei die schnellsten E-Autos aktuell bis zu 350 kW aufnehmen können.

1.000-Volt-Architektur

Um überhaupt so schnell nachzuladen, muss das Fahrzeug so viel Energie in kurzer Zeit auch aufnehmen können. Damit das dem Semi gelingt, verfügt er über eine 1.000-Volt-Architektur, wie Tesla beim Auslieferungs-Event verriet. Allerdings bleibt bisher unklar, ob es sich dabei um einen Durchschnitts- oder Spitzenwert handelt oder ob der Wert nur für das Batteriesystem oder auch die Wechselrichter und Motoren gilt.

Tesla Semi Elektro-Lkw
Screenshot: Tesla via Youtube
2023 will Tesla neue Megawatt-Charger einführen, die über Kühlkanäle im Kabel verfügen.

Der Semi übernimmt damit eine Vorreiterrolle bei der Marke, denn weitere Modelle sollen die 1.000-Volt-Architektur ebenfalls bekommen. Allen voran der Elektro-Pick-up Cybertruck, der auch mit einer maximalen Ladeleistung von einem Megawatt antreten soll. In Sachen Bordspannung stößt der Hersteller in neue Dimensionen vor. Nicht nur für sich (bisher nutzt Tesla 400-Volt-Technologie), sondern überhaupt. Aktuell sind in dieser Hinsicht Lucid (900 Volt) sowie Porsche und Hyundai (800 Volt) führend.

Top-cW-Wert von 0,36

Widersprüchliche Aussagen gab es bisher zur Produktionsstätte des Tesla Semi. Ursprünglich hieß es, die Gigafactory 1 in Nevada bereite sich auf die Herstellung der Zugmaschinen vor – bisher produziert der Standort vorwiegend Batterien und Antriebsstränge. Späteren Plänen zufolge sollte der Elektro-Lkw hier übergangsweise gebaut werden, bis die Gigafactory in Austin, US-Bundesstaat Texas, fertiggestellt ist. Dies ist nun der Fall, sodass der Semi direkt vollständig in seinem avisierten Stammwerk montiert werden könnte. Sobald die Produktion komplett hochgefahren ist (2024 soll es soweit sein), will Tesla pro Jahr etwa 50.000 Semi-Elektro-Lkw in Nordamerika fertigen.

Tesla Semi Elektro-Lkw
Screenshot: Tesla via Youtube
Auch dank der windschlüpfigen Formgebung soll der Energieverbrauch sehr niedrig ausfallen.

Der Semi-Truck sieht mit seiner windschlüpfigen Fahrerkabine extrem futuristisch aus. Tesla gibt einen Luftwiderstandsbeiwert von cW 0,36 an. Laut Tesla soll der Lkw bei voller Zuladung rund zwei kWh pro Meile (etwa 1,6 Kilometer) konsumieren, was umgerechnet einen Verbrauch von 125 kWh auf 100 km bedeuten würde. Die US-Bezeichnung Semi-Truck kommt von "Semi-trailer truck" und bedeutet, dass diese Sorte Lkw "Semi-trailer", also Hänger ohne eigene Frontachse, sprich einen typischen Auflieger, auf seinem Sattel zieht. Konventionell zeigt sich das Kabinenangebot des Tesla Semi. Hier bietet Tesla eine flache Kabine und eine Langstreckenvariante mit Hochdach und Schlafkabine an. Diese kann zudem mit verstellbaren Winddeflektoren ausgerüstet werden.

Elektrischer Frachttransport und die Kostenfrage

Inzwischen sind für die Niederlande, Norwegen und Großbritannien die Bestellbücher geöffnet worden. In den Niederlanden kostet der Semi ab 130.000 Euro in der Basisversion mit bis zu 475 Kilometern Reichweite, 150.000 Euro werden für die stärkere Version mit 800 Kilometer Reichweite veranschlagt. Die Reservierung kostet 17.000 Euro. Die Founders Series muss direkt bei Bestellung mit 170.000 Euro bezahlt werden.

In den USA geht es bei 150.000 Dollar (aktuell umgerechnet gut 146.000 Euro) für die Basisversion mit 300 Meilen Reichweite los. Die 500-Meilen-Variante soll 180.000 Dollar (etwas mehr als 175.000 Euro) kosten. Als Anzahlung verlangt Tesla 20.000 Dollar (fast 19.500 Euro) für die Standardversionen, die Founders Series muss auch hier gleich komplett bezahlt werden. Analysten schätzen, dass allein die riesige Batterie 100.000 Dollar (97.400 Euro) veranschlagt.

Drei-Motoren-Antrieb auf Plaid-Basis

Musk betonte aber, dass Diesel-Lkw im Betrieb pro Kilometer 20 Prozent teurer seien; mit dem Elektro-Truck könnten die Fuhrunternehmer so pro Jahr 200.000 Dollar (knapp 195.000 Euro) sparen. Außerdem verspricht er, dass der Lkw pannenfrei eine Million Meilen (1,6 Millionen Kilometer) schaffen kann. Selbst mit zwei ausgefallenen Motoren könne der Sattelschlepper immer noch einen Diesel-Lastwagen schlagen. Und die Bremsen würden quasi verschleißfrei arbeiten, da die Verzögerung größtenteils durch Rekuperation erfolge.

Beim Auslieferungs-Event in Nevada konkretisierte Musk erstmals die Antriebs-Spezifikation des Tesla Semi. Dieser basiere auf dem 1.020 PS starken Plaid-Antrieb der Modelle S und X und verfüge über drei Motoren an den Hinterachsen. Einer der Motoren arbeite mit maximaler Effizienz, während die beiden anderen dafür sorgen sollen, das Drehmoment und die Beschleunigung zu optimieren – zum Beispiel an Steigungen. Musk verriet, dass andere Lkw-Hersteller interessiert seien, den Semi-Antrieb für ihre künftigen Elektro-Modelle zu nutzen. Ursprünglich wurde spekuliert, der Sattelschlepper besitze vier unabhängige Elektromotoren an den beiden Hinterachsen.

Laut Tesla-Website liegt die Höchstgeschwindigkeit bei über 100 km/h. Musk behauptet, der Semi komme in fünf Sekunden von null auf 60 mph (96,6 km/h) – die Zugmaschine allein. Sie sei "ein Elefant, der sich wie ein Gepard bewegt". Mit voller Beladung soll der Semi die Übung übrigens in 20 Sekunden schaffen.

Mittig positionierter Fahrerplatz

Auffällig: Der Fahrer sitzt in der Mitte der Kabine ("wie in einem Rennwagen"). Damit spart sich Tesla verschiedene Versionen für den Links- oder Rechtsverkehr – ob dies in der Produktion viel Geld spart, ist allerdings unklar. Ein potenzieller Mitfahrer findet auf einem versetzt angebrachten Klappsitz in der zweiten Reihe einen Platz. Links und rechts vor dem Fahrer machen sich zwei riesige Touchscreens breit, die alle Bedienfunktionen sowie die Bilder aller Kameras bündeln. Zustieg zur Kabine gewährt auf der linken Seite eine hinten angeschlagene Türe. Zusätzlichen Stauraum finden Fahrer unter der Fronthaube, wo Tesla einen Frunk vorgesehen hat.

Tesla Semi Innenraum
Tesla
Die Perspektive der Fahrerin oder des Fahrers aus dem Cockpt des Tesla Semi.

Besonders stolz ist der Tesla-Boss auf die riesige Frontscheibe. Sie sei explosionssicher. "Sie übersteht sogar eine nukleare Explosion. Wenn nicht, bekommen Sie den vollen Kaufpreis zurück", scherzte Musk. Tatsächlich könnten US-Trucker auf ein solches Feature abfahren, denn in den USA dürfen Lkw mit beschädigter Windschutzscheibe nicht mehr bewegt werden. Gleichgültig, in welcher gottverlassenen Gegend dem Fahrer oder der Fahrerin so was passiert sein mag: Der Lkw muss abgeschleppt werden oder es muss eine Ersatzscheibe vor Ort gebracht und eingebaut werden.

Bislang testet Tesla den Semi-Truck vor allem im US-Bundesstaat Nevada. Er soll auch das teilautonome Fahren im Konvoi ("Platooning") möglich machen. Bei der Präsentation 2017 versprach Musk, dass jeder Semi-Truck serienmäßig mit der neuesten Version des Tesla-Autopiloten ausgestattet wird, der Spurhalte- und Notbremsassistent beinhaltet. Nun, fünf Jahre später, gab er zu, dass Teslas "Full Self Driving"-Technologie noch nicht bereit sei für fahrerlose Fortbewegung. Außerdem sollen Sensoren die Antriebsmotoren so steuern, dass die Fuhre jederzeit stabil rollt und das gefürchtete Einknicken des Sattelschleppers zwischen Zugmaschine und Auflieger verhindert wird.

Namhafte Vorbesteller

Zu den ersten Vorbestellern gehören neben Pepsi weitere namhafte Unternehmen. Die Deutsche Post hat für ihre Tochter DHL Chain Supply zehn Tesla-Lkw für den Einsatz auf dem US-Markt bestellt. Größere Bestellungen sollen auch von der US-Brauerei Anheuser-Busch (40 Stück), dem US-Nahrungsmittelkonzern Sysco (50 Stück), der Supermarktkette Walmart (15 Stück) und dem kanadischen Einzelhändler Loblaws (25 Stück) vorliegen. Tesla setzt den Semi natürlich auch als Teil seiner eigenen Lieferkette ein, beispielsweise um Komponenten zwischen den Werken hin- und herzutransportieren.

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Fazit

Tesla hat es endlich vollbracht: Drei Jahre nach dem ursprünglich anberaumten Termin wurde tatsächlich der erste Tesla Semi Truck an einen Kunden übergeben. So richtig überraschend kam die Verzögerung nicht. In der Branche geht es nicht um Visionen, sondern um Effizienz und Zuverlässigkeit. Jedes Kilogramm, das bei der Nutzlast fehlt, kostet richtig viel Geld. Das weiß man auch bei Tesla und setzt für die Riesenbatterie auf die neue Zellgeneration, die offensichtlich jetzt erst in ausreichender Menge zur Verfügung steht.

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AUTO MOTOR UND SPORT 09 / 2024
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Erscheinungsdatum 11.04.2024

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