Die Ja-Kampagne zur SVP-Selbstbestimmungsinitiative ist:

Orange, verlogen und verdreht

Clemens Studer

Die Schweiz erlebt gerade ihre bisher dreisteste Fake-News-Abstimmungskampagne. Fakten spielen für die SVP nicht einmal mehr pro forma eine Rolle.

TROJANISCHES PFERD: Die SVP-Selbstbestimmungsinitiative ist aussen fake und innen brandgefährlich. (Foto: Keystone)

Das Orange, mit dem sich die SVP aktuell tarnt, entspricht zwar nicht ganz Donald Trumps Gesichtsfarbe. Doch in Sachen Fake News steht die Blocher-­Partei dem US-Präsidenten kaum mehr nach.

Drei Beispiele:

Menschenrechte. Bis vor wenigen Wochen war die SVP wenigstens in einem Punkt klar: dass sich ihre Selbstbestimmungsinitiative gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) richtet. 2013 sagte es Toni Brunner zum ersten Mal öffentlich. 2014 beantragte Ueli Maurer im Bundesrat die Kündigung der EMRK. Und der Erfinder der SVP-Selbstbestimmungsinitiative (SBI), Hans-Ueli Vogt, sagte 2015: «Die Kündigung der EMRK liegt in der Stossrichtung der Initiative.» Jetzt plötzlich behauptet SVP-Führer Christoph Blocher, «niemand will die EMRK künden».

Arbeitnehmendenschutz. Noch im Februar trat Ems-Milliardärin und SVP-­Nationalrätin Magdalena Martullo-­Blocher, umringt von anderen SVP-Grössen, vor die Medien und wütete gegen die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Diese schützen die Lohnabhängigen vor dem Machtmissbrauch der Arbeitgeber. Das wollen Martullo & Co. aber nicht. Lieber heute als morgen möchten sie die Flankierenden deshalb los werden. Doch jetzt vor der SBI-Abstimmung macht die SVP plötzlich mit dem Lohnschutz, den sie schleifen will, Werbung – für ihre Selbstbestimmungsinitiative. Das gleiche ­Verwirrspiel treibt die SVP mit den Asbestopfern, die nur dank dem Strassburger Gericht Entschädigung bekommen (work berichtete: rebrand.ly/asbest-­opfer). Noch 2015 kritisierte SVPler Vogt das Urteil in der NZZ als «wirtschaftsfeindlich», nur die SBI könnte solches künftig verhindern. Heute behauptet die SVP frech, die Asbestopfer könnten «auch nach Annahme (…) in Strassburg klagen».

SVP wechselt Argumente so oft wie andere die Socken.

«Einfach wieder wie vor 2012». Die SBI-Initianten behaupten, «die Initiative stellt nur den Zustand vor 2012 wieder her». Und schliesslich habe da die Schweiz auch tadellos funktioniert. ­Warum 2012? Damals, am 12. Oktober, fällte das Bundesgericht einen Entscheid, der die Rechtsnationalisten auf die Bäume trieb. Es ging um einen jungen Thurgauer mit mazedonischem Pass. Der in der Schweiz aufgewachsene Mann war als 19jähriger im Drogenmilieu als Gehilfe unterwegs, wurde erwischt und zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt. Das Thurgauer Mi­grationsamt entzog ihm daraufhin die Niederlassungsbewilligung und wollte ihn ohne weitere Prüfung aus der Schweiz wegweisen. Dagegen rekurrierte der Mann bis vor Bundesgericht und bekam recht.

Eine automatische Ausweisung ohne Einzelfallprüfung widerspreche sowohl der Schweizer Bundesverfassung als auch der Europäischen Menschenrechtskonvention, entschied das Gericht (2 x SVP, je 1 x CVP, SP, Grüne). Die SVP behauptet, dies sei eine Praxisänderung, bei dem «fremdes Recht» höher gewichtet worden sei als schweizerisches. Das stimmt zwar nicht, weil es gar keine Praxisänderung, sondern eine Praxisbeibehaltung war, aber es tönt gut.

Je mehr Fake News die SVP in Umlauf bringt, desto klarer zeigt sich ihr Plan hinter der Abstimmungskampagne unter falscher Flagge: Den harten Kern der Menschenrechtsfeinde und Abschotter hat man sowieso im Sack. Dafür will man Abstimmende bis in die Mitte gewinnen. Doch dort sind Werte wie Vertragstreue und Menschenrechte noch nicht so erodiert wie hart rechts und rechtsaussen.


Abstimmung Fehrs Aufruf

Ende Oktober war «Blick on tour» im aargauischen Suhr. Thema: SVP-Selbst­bestimmungsinitiative. Bundesrätin Simonetta Sommaruga und FDP-Ständerat Philipp Müller traten gegen die Initiative an. Initiativerfinder und SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt sowie Nationalratskollegin und Ems-Milliardärin Magdalena Martullo-Blocher dafür. Offensichtlich waren grosse Teile des Publikums aufgeputschte SVPler ausser Rand und Band. Sie buhten Sommaruga und Müller aus, brüllten sie an und beschimpften sie unflätig.

GOLDRICHTIG. Am 4. November kommentierte Jacqueline Fehr, die Linke im Zürcher Regierungsrat, einen Bericht über die Veranstaltung: «Wir gewinnen die Abstimmung gegen diese Anti-Demokraten nur, wenn jede und jeder von uns noch mindestens zwei zusätzliche Leute an die Urne bringt.» Jetzt fordern Zürcher SVPler eine Entschuldigung. Dabei liegt Fehr so etwas von richtig. Auch wenn die neusten Umfragen eine Ablehnung der SVP-Initiative prophezeien: jede Nein-Stimme ist wichtig. Also bitte sofort die Stimmzettel ausfüllen und einwerfen. Denn am 25. November geht’s um viel.

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