Rettet die alpine Solar-Revolution die Schweizer Gletscher?

Zur Sonne, zur Zukunft!

Marie-Josée Kuhn

Im Februar lancierte die Walliser Oppositionszeitung «Rote Anneliese» den Plan, im sonnigen Saflischtal den grössten Solar-Park der Schweiz zu bauen: Grengiols Solar. Er schlug ein wie eine Bombe. Und mittendrin der ehemalige SP-Präsident, Hotelier und Ökologie-Experte Peter Bodenmann. work traf ihn auf ein Bier.

EX-SP-PRÄSIDENT PETER BODENMANN: «Mit 12 Milliarden Franken Subventionen könnten wir den ökologischen Umbau bis 2032 hinbekommen.» (Foto: Pedro Rodrigues)

work: Peter Bodenmann, seit Jahren ­schreiben Sie auch im work über den öko­sozialen Wandel. Bisher waren Sie mit Ihrem Vertrauen auf die Segnungen des technischen Fortschritts ein eher einsamer Rufer in der linken Wüste. Das hat sich mit dem geplanten Solarpark im Walliser Dorf Grengiols jetzt völlig verändert. Warum?
Peter Bodenmann: In den letzten Monaten hat sich in Sachen Energie unheimlich viel getan. Zuerst versenkte der Bundesrat das Rahmenabkommen. Das wäre nicht nötig gewesen, man hätte es mit flankierenden Massnahmen sozial wasserdicht machen können. Etwa mit einem flächendeckenden Mindestlohn von 25 Franken. Ohne Rahmenabkommen gibt es aber absehbar auch kein Stromabkommen. Die Schweiz – und somit auch die Stromdrehscheibe Schweiz – isoliert sich noch etwas mehr.

Und dann kam der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Sanktionen treffen vor allem Europa: Die Preise für Gas und Strom explodieren. Das spüren vorab die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Ausser man gleicht die Verluste aus, mindestens mit dem vollen Teuerungsausgleich für Löhne und Renten. Doch das geschieht bestenfalls teilweise. Hohe Preise für Öl, Gas und Strom machen andererseits alternative Energien wie etwa Solar- und Windenergie viel attraktiver. Darauf setzen jetzt die deutschen Grünen. Sie sind für den totalen Stop ­russischer Gaslieferungen für immer. Und für ­einen blitzschnellen ökologischen Umbau.

«Sommaruga & Co. wollen eines der Hochtäler des Landschaftsparks Binntal unter Wasser ­setzen.»

Was heisst das konkret?
Windkraftanlagen sollen in Deutschland viel schneller als bisher bewilligt werden, so lange, bis diese 2 Prozent der Landesfläche beanspruchen. Bis 2032 sollen 200 Gigawatt-Solarpanel zusätzlich installiert werden. Auch auf Freiflächen.

Zeitverzögert wird diese grüne deutsche Lawine auch die Debatte in der Schweiz verändern. Mittelfristig werden bei uns die Kosten der Haushalte und der Unternehmen für Energie im Verhältnis zu heute sinken. Weil Windenergie und Solarstrom die günstigen Energieproduzenten sind. Aber kurzfristig führt dies zu Belastungen, die wir sozial abfedern können und müssen.

Zurück zu Grengiols: Warum soll in den ­Walliser Alpen der grösste Solarpark der Schweiz gebaut werden?
Weil die Windenergie in der Schweiz wenig Potential hat. Und ein zu teurer Ausbau der Wasserkraft verdammt wenig bringt. Wir aber in den Alpen phantastische Bedingungen haben. Beispiel: Das gleiche Solarmodul produziert auf der Tot­alp ob Davos 4 Mal mehr Winterenergie als auf dem Dach der Unia-Zentrale in Bern. Und davon 55 Prozent im Winter.

Fressen die bifazialen Solaranlagen denn nicht zu viel wertvolles Alpenland?
Der Alpenraum hat eine Fläche von 18 000 Quadratkilometern, also 18 Milliarden Quadratmetern. Grengiols Solar beansprucht 5 Quadrat­kilometer. Wir müssen ein Winterloch von 25 Milliarden Kilowattstunden stopfen. Und das könnten wir mit rund 25 Anlagen in der Grössenordnung von Grengiols. Die beanspruchen somit nur 0,6 Prozent des ganzen Alpenraums. Man kann auf Wiesen mit Solarpanels Schafe weiden lassen. Zum Vergleich: In Deutschland wollen die Grünen 2 Prozent der Landfläche allein für die Windkraft reservieren.

Das Oppositionsblatt «Rote Anneliese», bei dem Sie mitschreiben, hat das Projekt Grengiols im Februar lanciert. Wie war das Echo im Wallis?
Die Nummer hat recht eingeschlagen. In Gren­giols sind inzwischen 90 Prozent der Bevölkerung für Grengiols Solar. Das schätzt Gemeindepräsident Armin Zeiter. Im Oberwallis sind es 80 Prozent. Und jetzt hat auch noch der Staatsrat Roberto Schmid, der im Wallis für die Energie zuständig ist, die Kurve hinbekommen. Er sagte kürzlich im «Walliser Boten»: «Bei der Solarenergie reicht es nicht, wenn wir auf möglichst vielen Dächern und Fassaden Solarpanels aufstellen. Wir brauchen grossflächige Solaranlagen. Diese wären die perfekte Ergänzung zur Wasserkraft …» Es geschehen im nicht mehr ganz so katholischen Wallis Wunder.

Und in der nächsten «Anneliese» feuern wir in Sachen Grengiols Solar übrigens noch nach.

Was denn?
Einige kritisieren, dass die Solaranlage in Grengiols in den Landschaftspark Binntal zu stehen kommen würde. Was unsere Kritikerinnen und Kritiker bisher aber offenbar nicht realisiert haben, ist: Bundesrätin Simonetta Sommaruga will genau dort – zusammen mit dem Walliser Staatsrat Roberto Schmid, Ständerätin Heidi Z’graggen und dem Leiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Raimund Rodewald – ein ganzes Hochtal mit einer grossen Staumauer unter Wasser setzen.

Hoppla, pikant! Hat der Bau neuer Stau­mauern denn überhaupt eine Chance?
Realistisch gesehen, aus meiner Sicht nicht. Die Wasserkraft hat das Rennen gegen den Solarstrom verloren. Deshalb wollen die Schweizer Strom­barone nur in die Wasserkraft investieren, wenn sie erstens 60 Prozent Subventionen bekommen und ihnen zweitens die Bergkantone beim Heimfall entgegenkommen. Und nicht nur das: Der Transfer von Sommerstrom in den Winter bringt auch keine zusätzlichen Wasserzinsen in die Kassen der Wasserschlosskantone und ihrer Gemeinden.

DA GAFFEN DIE KÜHE: Solar-Vordenker Peter Bodenmann als «bifazialer Peter» trägt die Solar-Revolution in die Walliser Alpen. (Karikatur: Le Nouvelliste)

Die rechten Parteien setzen auf eine neue Generation von AKW. Ist das falsch?
Atomkraftwerke der nächsten Generation sind Papierfliegerli. Es gibt sie nicht. Und es ist absolut unverantwortlich, wenn wir die Atomkraftwerke weiterlaufen lassen. Schlicht und einfach, weil sie die Atombomben des Gegners in unserem Land sind. Man kann sie mit bunkerknackenden Raketen zerstören. Das hat inzwischen selbst die NZZ begriffen. Investitionen in unseren veralteten AKW-Park lohnen sich nicht. Von daher fallen 10 Milliarden Kilowattstunden Winterstrom weg.

Dazu kommt, dass wir im Winter schon heute 5 Milliarden Kilowattstunden Strom importieren. Und die dringend nötige Umstellung auf Elektroautos und Wärmepumpen benötigt zusätzlich Strom.

Bleibt die spannende Frage, ob wir diesen absehbaren Mehrverbrauch durch Effizienzgewinne wenigstens teilweise kompensieren können? Das ist nicht ausgeschlossen. Dann dürfte ein Auto auf 100 Kilometer nicht mehr als 12 Kilowattstunden Strom verbrauchen. Und Luft-Wärme-Pumpen müssten massiv effizienter werden. Und so mit einer Kilowattstunde Strom sechs Kilowattstunden Heizwärme und Warmwasser produzieren. Harte Standards können dazu führen, dass es nur halb so viele schwere Brummer wie für Grengiols braucht.

Warum geht es eigentlich immer um Winter­energie?
Schlicht und einfach, weil wir ein Winterstromloch haben. Wer zu viel Geld hat, könnte auch importierten, synthetisch erzeugten Diesel verbrennen und mit diesem Strom und Wärme produzieren. Oder auf eine Wasserstoffrevolution hoffen. Doch das ist leider alles viel zu teuer. Man muss den ökologischen Umbau mit den Bausteinen voranbringen, die zur Verfügung stehen.

Wie reagiert die Energiewirtschaft auf Grengiols Solar?
Über alle Erwartungen positiv. Alpiq ist mit im Boot. Axpo und die öffentlichrechtlichen Industriellen Werke Basel (IWB) sind interessiert.

«AKW der nächsten Generation sind Papierfliegerli.»

Und was meinen die Grünen und die ­Umweltorganisationen?
Immer zu allem Nein sagen geht nicht mehr. Sie müssten sich aus meiner Sicht darauf konzen­trieren, flankierende Massnahmen zu verlangen: Erstens: Abstellen aller bestehenden Atomkraftwerke, sobald die Schweiz mit Solarenergie zusätzlich 20 Milliarden Kilowattstunden Winterstrom mehr produziert als heute. Zweitens: ­Erhöhung der Restwassermengen. In den Bächen und Flüssen kann und soll wieder mehr Wasser fliessen. Drittens: weitgehender Verzicht auf den Ausbau der zu teuren Wasserkraft. Viertens: keine neuen Windräder in der Schweiz. Fünftens: Erhöhung der Biodiversität im Bereich von alpinen Freiflächenanlagen. Sechstens: erdverlegte Gleichstromkabel.

Und wer soll das alles bezahlen?
Was noch niemand so recht glauben will: der alpine Winterstrom kostet nicht mehr als 5 Rappen pro Kilowattstunde, wenn man pro produzierte Kilowattstunde Winterstrom einmalig eine Subvention von 50 Rappen bezahlt.

Mit lächerlichen 12 Milliarden Franken Subventionen könnten wir den ökologischen Umbau bis 2032 auf die Reihe bekommen. Viel schneller und viel billiger, als dies die SP und die Grünen bisher glauben. Zumindest stromseitig.

Wer profitiert eigentlich von den 2 Rappen Solarzins pro Kilowattstunde Winterstrom, die der Grengiols-Plan vorsieht?
Auf über 1800 Metern über Meer gehört der Boden fast überall Burgerschaften oder Kooperationen. Sie ­waren die Urzellen eines oft etwas idealisierten hochalpinen Kommunismus. Zum Beispiel befasste sich Volkskundeprofessor Arnold Niederer selig als Wissenschafter intensiv mit der Lötschentaler Welt, in der man nur dank Kooperation und gemeinsamem Eigentum überleben konnte. Niederer war in seiner Jugend übrigens Trotzkist. Oder die US-Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom, die als erste Frau 2009 diesen Preis erhielt. Der Titel ihres Buches, das sich mit Törbel befasst, heisst: «Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt». Törbel ist eine jener Walliser Gemeinden mit grossem Solarpotential. So wie Grengiols auch.

Es geht übrigens nicht nur um den Solarzins. Nein, alle sollen ihre Gewinne in den Standortgemeinden versteuern. So wie dies die Energie Electrique du Simplon (EES) als ­einzige Wasserkraftwerkgesellschaft auch dank mir als aktivistischem Kleinaktionär in Gondo und Sim­plon Dorf macht. Noch nicht begonnen hat die Debatte, wie man diese Gelder im Alpenraum intelligent verwendet.

Und wie geht es nun weiter?
Die Gemeinde und die Burgerschaft Grengiols entscheiden am 8. Juni 2022, ob sie einsteigen wollen. Einiges spricht dafür, dass eine gemeinnützige Stiftung 5 Millionen Franken bereitstellen wird, damit alle offenen Fragen umfassend geklärt werden können. Und alt Bundesrat Pascal Couchepin macht auch mit. Denn Solarstrom ist weder rechts noch links. Wenn das keine guten Nachrichten sind!

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