Neuer Unia-Report enthüllt haarsträubende Zustände beim Päcklidienst DPD:

Drei Stunden Gratisarbeit. Pro Tag!

Christian Egg

Sie chrampfen zwölf Stunden am Tag und mehr: die Fahrerinnen und Fahrer der Postdienstleisterin DPD. Doch ein grosser Teil ihrer Arbeitszeit wird  weder aufgeschrieben noch bezahlt.

PÄCKLIBOOM IM CORONAJAHR: Das Geschäft mit der Päcklipost hat enorm zugelegt. Die rund 800 Fahrerinnen und Fahrer im Auftrag von DPD leisten diese gigantische Mehrarbeit gratis. (Foto: Shutterstock)

Wer im Auftrag der DPD fährt, muss früh aufstehen. Um halb sechs treffen die Kurierinnen und Kuriere mit ihren Lieferwagen im Depot ein. Etwa drei Stunden lang beladen sie ihr Fahrzeug, dann geht’s los auf die Tour. Filip Mitreski*, DPD-Fahrer im Kanton Bern, sagt zu work: «Wenn ich Glück habe, bin ich um halb fünf am Abend fertig. Wenn ich vie-le  Pakete habe, erst um halb sieben.» Sein Kollege Jakub Kucar *, seine Tour liegt im Kanton Baselland, ist sogar oft erst um sieben fertig.

Das sind Arbeitstage von zwölf, dreizehn Stunden, manchmal mehr. Montag bis Freitag. Und meist ohne Pausen. Fahrer Kucar: «Ich esse während des Fahrens. Ich könnte schon Pausen einplanen. Aber dann wäre ich erst um zehn Uhr abends zu Hause und würde Frau und Kinder gar nicht mehr wach sehen.» Tiago Dias *, auch er DPD-Fahrer im Kanton Bern, isst öfter mal den ganzen Tag lang nichts.

«Wir sind wie Bomben auf der
Strasse, die jederzeit hoch­gehen können.»

60-STUNDEN-WOCHEN

In den Arbeitsverträgen der drei Fahrer, mit denen work gesprochen hat, stehen Wochenarbeitszeiten von 42 bis 45 Stunden. Sie alle arbeiten aber 60 Stunden und mehr. Und zwar, ohne dass diese Mehrstunden bezahlt werden!

Es ist einer der grössten Skandale des Coronajahres in der Schweiz: Der Onlinehandel boomt, mit ihm auch das Geschäft der Päcklidienstleister. Doch die rund 800 Fahrerinnen und Fahrer im Auftrag von DPD leisten diese gigantische Mehrarbeit schlichtweg gratis.

Mit etwa 200 von ihnen haben Unia-Sekretärinnen und -Sekretäre in den letzten Monaten gesprochen. Was sie zu hören bekamen, ist erschreckend. Roman Künzler, Branchenleiter Logistik: «Niemand von diesen Mitarbeitenden bekommt Ende Monat vom Chef eine Stundenabrechnung!» Obwohl das Erfassen der Arbeitszeit gesetzlich vorgesehen ist.

Die Gespräche hat die Unia in einem 35seitigen Report zusammengefasst (rebrand.ly/dpd-report). Er zeigt auf, wie DPD die Fahrerinnen und Fahrer nicht direkt anstellt, sondern via Subunternehmen (siehe Kasten rechts unten). Diese bezahlen mies. Die Löhne von Mitreski, Kucar und Dias liegen zwischen 3600 und 4250 Franken im Monat. Aber auch nur theoretisch.

«Ich esse während des Fahrens.»

ILLEGALE STRAFEN

Filip Mitreski sagt, ihm würden manchmal 100 oder auch 300 Franken vom Lohn abgezogen – wegen angeblicher Fehler, die er begangen haben soll: «Wenn ich frage, was ich falsch gemacht habe, bekomme ich keine Auskunft.» Kucar berichtet, sein Chef habe ihm einmal fast 500 Franken abgezogen: «Der Kunde hat für das Paket unterschrieben, es dann offenbar verloren und dann bei DPD reklamiert, er habe es nie bekommen. Wir Fahrer sind immer die Dummen.» Der Unia-Report stellt klar fest: Solche Strafen sind gesetzeswidrig.

Fast alle Fahrerinnen und Fahrer haben einen ausländischen Pass. Mitreski ist sich sicher: Die Subunternehmer stellen absichtlich kaum Schweizerinnen und Schweizer ein. «Als ich vor ein paar Jahren in die Schweiz kam, wusste ich nichts von vier Wochen Ferien, von dreizehntem Monatslohn oder von Arbeitszeiterfassung. Wer hier geboren ist, weiss das und lässt nicht alles mit sich machen.»

Viele der Pakete seien schwer, sagt Fahrer Jakub Kucar. Oft 30 Kilo, manchmal sogar 40. Die Suva empfiehlt maximal 25. Das hat Folgen. Kucar, Mitte 30, hat oft Rückenschmerzen. Zudem sei er ständig erschöpft: «Am Wochenende mag ich gar nichts machen.» Fahrer Dias hatte seit zwei Jahren keine Ferien mehr und sagt: «Meine Batterien sind gross. Aber irgendwann sind sie leer.»

«Wir fordern nur das, was uns zusteht. Mehr nicht.»

1500 KILO ÜBERLADEN

Und trotzdem muss er weiterfahren, um den Job zu behalten. Die Fahrer sind sich bewusst, dass das gefährlich ist – für sie und für andere. Zumal viele der Lieferwagen, die im Auftrag der DPD unterwegs sind, alt und klapprig seien. Tiago Dias berichtet von alten Bremsen, die den Bremsweg verlängerten, und Jakub Kucar sagt: «Manchmal ist mein Lieferwagen um 1500 Kilo überladen, wenn ich vom Depot wegfahre.»

Fahrer Mitreski berichtet von Wagentüren, die sich von selber öffnen – und dass es im vorletzten Winter sechs Wochen dauerte, bis sein Fahrzeug endlich mit Winterpneus ausgerüstet wurde. Trotzdem müsse er immer schnell fahren, um den Zeitplan einzuhalten. Er sagt: «Wir sind wie Bomben auf der Strasse, die jederzeit hochgehen können.»

JETZT IST GENUG!

Von alledem haben die Fahrerinnen und Fahrer jetzt genug. Sie sind der Unia beigetreten, haben sich in der Freizeit getroffen und überlegt, was sich ändern müsse. Sie haben 13 Forderungen aufgestellt (rebrand.ly/dpd-forderungen), über 300 Mitarbeitende unterstützen diese mit ihrer Unterschrift. Anfang Februar haben die Fahrerinnen und Fahrer, die im Auftrag der DPD unterwegs sind, DPD zu Verhandlungen aufgefordert. Und eine Absage bekommen.

Eine DPD-Sprecherin schreibt work: «Wir sind bereit, einen Dialog zu führen – das aggressive Verhalten von Unia werten wir hingegen nicht als Dialog und weisen die Vorwürfe entschieden zurück.» Was sie mit ­«aggressivem Verhalten» meint, lässt sie offen.

Unmissverständlich dagegen die Aktion eines DPD-Subunternehmers im Kanton Waadt: Er attackierte einen Unia-­Sekretär lebensgefährlich. Bedroht werden im System DPD auch die Fahrerinnen und Fahrer. Tiago Dias berichtet: «Ein Subunternehmer liess seinen Leuten ausrichten: Wer mit der Unia spricht, wird entlassen.»

Trotz allem bleibt Dias cool: «Wir fordern nur das, was uns zusteht. Mehr nicht.» Und er ist sicher: «Früher oder später wird DPD die meisten unserer Forderungen erfüllen.»

* Namen geändert

Unter Druck und Unterdrücker: So funktioniert das DPD-Subunternehmer-System

DPD ist eine international tätige Paketdienstleisterin. Das Unternehmen mit 75’000 Mitarbeitenden gehört dem französischen Staat. In der Schweiz ist DPD nach der Post die Nummer zwei im Paketmarkt.

Fahrer Filip Mitreski staunte nicht schlecht, als er sich bei DPD um einen Job bewarb: Kontaktiert wurde er dann von einer ihm unbekannten Firma. Denn DPD stellt keine Chauffeurinnen und Chauffeure selber an. Das machen Subunternehmen.
Der Unia-Report bringt Licht ins System DPD: Fast alle Subunternehmen sind klein, mit höchstens 10 bis 15 Mitarbeitenden. Kein Zufall, vermutet Unia-Mann Roman Künzler: «So kann DPD jederzeit den Vertrag mit ­einem Unternehmen kündigen, ohne dass das System aus den ­Fugen gerät.»

DPD schreibt den Subunternehmen alles minutiös vor.

UNGESETZLICH? Die Freiheit der Subunternehmer ist minimal. Arbeitskleidung, Fahrzeuge, Scanner, die Touren, die Entschädigung pro Stop: alles wird von DPD minutiös vorgeschrieben. Künzler: «Der einzige Weg, wie die Subunternehmen ihre Profite erhöhen können, ist, die Löhne und Arbeitsbedingungen der Fahrerinnen und Fahrer zu drücken. Natürlich tun sie genau das.» Der Report legt dar: Im Vergleich zur Post spart DPD so rund einen Drittel der Lohnkosten. Das ist unfair, wenn nicht sogar ungesetzlich.

WACKLIG. Doch das System steht auf wackligen Beinen. Denn DPD untersteht dem Postgesetz. Und muss deshalb, so das Gesetz wörtlich, «die Einhaltung der branchenüblichen Arbeitsbedingungen gewährleisten». Also auch bei den eigenen Subunternehmen. Eine DPD-Sprecherin schreibt work dazu: «Wir gehen Zuwiderhandlungen, die uns bekannt werden, sorgfältig nach.» work bleibt dran.


Duce-Portrait:DPD-Kadermann verherrlicht Mussolini

FASCHIST MUSSOLINI. (Foto: ZVG)

Unübersehbar hing bis vor kurzem im DPD-Depot in Giubiasco TI ein Portrait des italienischen Faschistenführers ­Benito Mussolini (1883–1945). Und zwar im Büro eines Kaderangestellten. Neben dem Bild der Spruch: «Ich habe keine Angst vor dem Feind, der mich angreift, sondern vor dem falschen Freund, der mich umarmt.» Mussolinis Regime war für den Tod etwa einer Million Menschen verantwortlich.

Als die Tessiner Unia-Zeitung «area» die DPD-Geschäftsleitung darauf anspricht, schreibt diese: «Wir distanzieren uns klar von solchen politischen Sym­pathien.» Das Bild sei «umgehend» ­entfernt worden.


Schluss mit Missständen: Protest in Paris

«DPD MUSS VERHANDELN!» (Foto: Unia)

Dicke Post für Geopost, die Mutter­gesellschaft von DPD Schweiz mit Sitz in Paris: Am 1. März übergab ihr die Unia den umfangreichen Report «Das System DPD» und forderte die Firma auf, Verantwortung für die Missstände in der Schweiz zu übernehmen. Die französischen Gewerkschaften CGT und SUD unterstützten die Unia bei der Protestaktion.

Geopost gehört der französischen Post und somit dem Staat. Die Forderung war klar: Geopost muss die Verweigerungshaltung des Schweizer Managements beenden.


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