Anleihen nur Großinvestoren vorbehalten oder auch was für den privaten Anleger?

Anleihen sind zurück! Nach einem Jahrzehnt niedriger Zinsen sind seit Anfang letzten Jahres Renditen von festverzinslichen Wertpapieren deutlich angestiegen. Die einst in den Hintergrund gefallene Assetklasse hat deutlich an Attraktivität gewonnen und rückt wieder stärker in den Fokus von Privatinvestoren. Mit planbaren Renditen bieten Anleihen eine Sicherheit, welche viele anderen Anlageformen nicht innehaben, und die besonders in unsicheren Zeiten an Aufmerksamkeit gewinnt. Regulatorische Hürden grenzen jedoch das für private Anleger direkt zugängliche Anleiheuniversum deutlich ein.

In den letzten Zehn Jahren befanden wir uns im Euroraum in einem Niedrigzinsumfeld. Die Finanzkrise 2008, die darauffolgende Staatsschuldenkrise und die niedrigen Inflationsraten in den darauffolgenden Jahren veranlassten die EZB dazu die Leitzinsen zu senken und auf einem historisch niedrigen Niveau zu halten. Erst Anfang letzten Jahres lag der EZB-Einlagesatz noch im negativen Terrain und 10-jährige österreichische Bundesanleihen boten nur eine Rendite von knapp 0 %. Mit dem rapiden Anstieg der Inflation im letzten Jahr drehte die Geldpolitik der Zentralbank jedoch in die andere Richtung. Zinsen wurden in einem noch nie dagewesenen Tempo angehoben und das Anleiheportfolio der EZB wird nun reduziert. Dies führte zu einem starken Anstieg der Anleiherenditen. Die zuvor erwähnte österreichische Anleihe rentiert nun bei über 3 %. In der folgenden Publikation wollen wir die wiedergewonnene Attraktivität von Anleihen beleuchten, und insbesondere die Anlagemöglichkeit für private Investoren diskutieren. Sollten sie noch nicht mit der Anlageklasse der Anleihen vertraut sein oder die grundlegenden Begrifflichkeiten nochmal wiederholen wollen verweisen wie sie auf den Anhang am Ende dieser Veröffentlichung.

Anteil am privaten Finanzvermögen zwar gering, jedoch kürzlich mit steigender Tendenz

Die Anlageklasse der Anleihen ist größtenteils in Hand von institutionellen Investoren wie Banken, Versicherungen, Pensions- und Investmentfonds und Staaten. Von österreichischen Gläubigern gehaltene österreichische Anleihen waren in Q1 2023 zu 89 % im Besitz institutioneller Investoren. Nur 9 % entfallen auf private Haushalte. Privatanleger bevorzugen andere Formen der finanziellen Veranlagung. Ein Blick auf das Finanzvermögen der privaten Haushalte zeigt, dass nur etwa 3,0 % davon direkt in Schuldverschreibungen wie Anleihen investiert sind. In den allermeisten europäischen Ländern liegt der Anteil aktuell unter 2 %. Ungarn und Italien stechen aufgrund der speziell für Privatinvestoren begebenen Staatsanleihen hervor. Anleihen haben jedoch nicht immer eine so kleine Rolle gespielt. Ende 2010 lag in Österreich der Anteil bei immerhin 8,1 %. Blickt man weiter zurück, waren Anleihen sogar noch stärker verbreitet – 1995 machten diese 11,3 % des Finanzvermögens österreichischer Haushalte aus. In den letzten zwei Quartalen ist jedoch bei den meisten Ländern eine Trendumkehr zu beobachten gewesen – der Anteil von Schuldverschreibungen am Finanzvermögen stieg wieder etwas an.

Chart 1 - Anleihen erfreuen sich in den letzten zwei Quartalen an erhöhter Beliebtheit*
*Anteil Schuldverschreibungen am Finanzvermögen privater Haushalte
Quelle: Eurostat, RBI/Raiffeisen Research

In Wahrheit liegt der Anteil von Anleihen am Finanzvermögen privater Haushalte jedoch über den zuvor erwähnten 3,0 %. Dies ist auf die indirekt gehaltenen Anleihen über den Besitz von Fonds und über Versicherungsprodukte, die wiederum in Anleihen investiert sind, begründet. Der größte Posten des Finanzvermögens ist in den meisten EU-Ländern jedoch in Bargeld und Einlagen investiert. In Österreich machen diese 41 % aus. Die zuvor erwähnten Anteilsrechte und Anteile an Investmentfonds folgen knapp dahinter – in Q1 2023 machten sie 37 % aus. Versicherungs-, Alterssicherungs- und Standardgarantie-Systeme stellten knapp 17 %.

Chart 2 - Finanzvermögen in Österreich und vielen weiteren EU-Ländern zu einem großen Anteil in Bargeld und Einlagen investiert*
*Aufteilung des Finanzvermögens nach Veranlagungsklasse in Q1 2023
Quelle: Eurostat, RBI/Raiffeisen Research

Wie zuvor erwähnt ist in den letzten Quartalen der Anteil von Anleihen am Finanzvermögen gestiegen. Dies ist vordergründlich auf den Zukauf neuer Anleihen zurückzuführen. Alleine in Q1 2023 kauften österreichische Haushalte Anleihen im Wert von EUR 2.463 Mio., so viel wie noch nie zuvor (seit Beginn der Aufzeichnung in Q4 1999). Des Weiteren wurden Termin- und Spareinlagen um EUR 4.609 Mio. aufgestockt. Hingegen wurden täglich fällige Einlagen um EUR 7.209 Mio. abgebaut. Das Geld auf dem Girokonto wurde hin zu zinsbringenden Anlagewerten wie Anleihen und Termineinlagen verschoben.

Chart 3 - Österreichische Haushalte investierten in Q1 in zinsbringende Anlagen*
*Transaktionen des österreichischen privaten Finanzvermögens
Quelle: OeNB, RBI/Raiffeisen Research

Attraktivität im Vergleich zu Bankeinlagen hat zugenommen

Aufgrund der vordefinierten Laufzeit und der vertraglich festgelegten Zahlung von Zinsen sind Anleihen und Bankeinlagen als Termin- und Spareinlagen gut vergleichbar. Im letzten Jahr sind die Renditen von Anleihen insbesondere auch im Vergleich zur Verzinsung von Bankeinlagen gestiegen. Mit Beginn der Finanzkrise fielen die Renditen österreichischer Staatsanleihen unter die Verzinsung von Bankeinlagen mit vergleichbarer Laufzeit. Seit Anfang 2022 stiegen diese jedoch wieder darüber, ein Zustand, der vor der Finanzkrise der Normalfall war.

Chart 4 - Attraktivität von Staatsanleihen gegenüber Bankeinlagen hat zugenommen*
*Staatsanleihen als auch Bankeinlagen beziehen sich auf Österreich
Quelle: EZB, Refinitiv, RBI/Raiffeisen Research

Vor- und Nachteile gegenüber Aktien

Aktien sind deutlich häufiger im direkten Portfolio von privaten Anlegern zu finden als Anleihen. In Österreich halten mehr als doppelt so viele Haushalte Aktien wie Anleihen. Ersteres trifft auf 6,1 % der privaten Haushalte zu, zweiteres auf nur 2,5 % (HFCS-Umfrage 2021). Hierbei spielt vor allem der einfachere Zugang zu Aktien eine wichtige Rolle. Auch haben Aktien in der Vergangenheit eine höhere durchschnittliche Rendite erzielt. Jedoch gibt es auch einige Argumente die für Anleihen im Vergleich zu Aktien sprechen, nicht zuletzt aber auch als Ergänzung zur Risikodiversifizierung.

Der unserer Meinung nach größte Vorteil von Anleihen ist die kalkulierbare Rendite. Bei einer klassischen Anleihe sind die zukünftigen Zahlungsströme im vorhinein fixiert. Wenn man eine Anleihe bis zu ihrem Laufzeitenende hält und der Emittent nicht in Zahlungsschwierigkeiten kommt, ist die zukünftige Rendite bei Kauf berechenbar. Sowohl die Kuponzahlungen als auch die Rückzahlung der Nominale am Laufzeitenende sind im vorhinein bekannt. Folglich lässt sich die erwartete Rendite vor Kauf der Anleihe genau berechnen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Preis der Anleihe im Laufe der Haltedauer schwankt. Ein überraschender Zinsanstieg könnte beispielsweise zu einem zwischenzeitlichen Rückgang des Preises führen. Verkauft man nun die Anleihe könnte ein Verlust drohen. Durch ein Halten bis zum Laufzeitenende kann man den zwischenzeitlichen Preisrückgang jedoch einfach aussitzen, und erhält letztlich die vorab vereinbarte Rendite. Die Kursentwicklung von Aktien ist nie mit Sicherheit vorauszusagen. Auch Dividendenzahlungen sind eher als ein Versprechen des Emittenten anzusehen und nicht vertraglich fixiert, wenn auch viele Unternehmen auf eine regelmäßige Auszahlung bedacht sind.

Grundsätzlich sind Anleihen als sicherer einzustufen. Einerseits bietet im Konkursfall eines Unternehmens eine Anleihe einen höheren Schutz als eine Aktie desselben Unternehmens. Bei Aktien handelt es sich um Eigenkapital, bei Anleihen hingegen um Fremdkapital eines Unternehmens. Im Falle einer finanziellen Schieflage werden die Schuldner, sprich Anleihebesitzer, vor den Eigentümern, sprich Aktionären, bedient. Bei einer möglichen Insolvenz werden zuerst die Forderungen der Anleihen behandelt, danach folgen erst die Aktionäre. Wie bereits erwähnt ist dieses höhere Risiko jedoch auch in der Vergangenheit mit einer höheren Rendite vergütet worden. Die Aktienrendite lag über längere Zeiträume in der Vergangenheit über der von Anleihen. Andererseits tummeln sich im Anleiheuniversum generell Schuldner mit niedrigerer Insolvenzwahrscheinlichkeit. Nationalstaaten gelten hierbei als die sichersten Schuldner. Im Euroraum werden Anleihen der Bundesrepublik Deutschland oft als risikolos bezeichnet. In Österreich ist die Ausfallwahrscheinlichkeit österreichischer Staatsanleihen deutlich niedriger einzuschätzen als die eines österreichischen börsennotierten Aktienunternehmens. Weiters schwanken die Preise von Anleihen grundsätzlich weniger stark, als jene von Aktien. Es kann somit von einer stabileren Anlage gesprochen werden. Der starke Zinsanstieg in den letzten 12 Monaten ist hier jedoch als Ausnahme zu nennen.

Der größte Nachteil, neben der historisch gesehen niedrigeren Rendite, ist der erschwerte Zugang für Privatanleger und die damit bisher einhergehenden höheren Kosten im Handel. Dazu später mehr im Detail. Aktien sind ein deutlich liquideres Finanzprodukt als Anleihen. Zwar werden auch viele Anleihen auf Börsen gehandelt, nichtsdestotrotz werden diese deutlich seltener und in deutlich geringerem Volumen gehandelt. Die niedrigere Liquidität führt zu höheren Kosten bei Kauf/Verkauf. Der sogenannte Bid/Ask Spread, die Differenz zwischen dem angebotenen Kauf- und Verkaufspreis, ist bei niedriger Liquidität höher. Von einem Intraday-Handel ist aufgrund der höheren Handelskosten bei Anleihen eher abzuraten.

Einzelne Anleihen kaufen oder doch lieber einen Anleihefonds oder ETF?

Ein Anleihefonds ist ein Wertpapierfonds in dem ausschließlich oder vorwiegend Anleihen enthalten sind. Diese sind aktiv verwaltet und können auf veränderte Marktbedingungen zeitnah reagieren. Es gibt Anleihefonds die ihre Erträge ausschütten, sowie welche die diese neu reinvestieren (thesaurierend). Ein Anleihe-ETF ist grundsätzlich genauso aufgebaut, wie die deutlich bekannteren Aktien-ETFs. ETFs (Exchange Traded Funds) sind Finanzprodukte welche die Performance eines Indexes nachbilden. Hier spricht man von einer passiven Veranlagung. Für den Investor haben Anleihefonds sowie Anleihe-ETFs im Vergleich zu einzelnen Anleihen Vorteile als auch Nachteile. Der größte Vorteil ist die höhere Diversifikation. In Anleihefonds und Anleihe-Indizes können Hunderte, oder sogar Tausende Anleihen abgebildet sein. Dies mindert das Risikoprofil deutlich. Weiters werden Fonds oft in thesaurierender Form angeboten, was dem Anleger die Reinvestition von Kuponzahlungen und Erträgen abnimmt. Fonds und ETFs können auch Anleihen beinhalten, auf welche Privatinvestoren aus diversen Gründen keinen Zugang haben (dazu später mehr). Ein Vorteil von speziell Anleihe-ETFs sind die im Vergleich zu einzelnen Anleihen niedrigere Kosten, da diese oft liquider sind. Der größte Nachteil von Fonds und ETFs ist, der bereits zuvor erwähnte und unserer Meinung nach größte Vorteil von einzelnen Anleihen, die Nicht-Kalkulierbarkeit der Rendite. Fonds und ETFs haben meist keine vordefinierte Laufzeit, und somit auch keine im Vorhinein exakt berechenbare Rendite. Die einzelnen Anleihen in einem Fonds oder Index haben alleinegenommen schon eine kalkulierbare Rendite, jedoch ist die Gesamtrendite aufgrund der stetigen Neuveranlagung unsicher. Bei Indizes geschieht dies automatisch – kommen neue Anleihen auf den Markt, die den Kriterien des Indizes entsprechen, werden diese aufgenommen. Beim Fonds entscheidet das Management welche Anleihen aktuell attraktiv gepreist sind, und aufgenommen werden, sobald Kapital frei wird. Damit ist es nicht möglich Preisverluste, welche beispielsweise durch einen rapiden Zinsanstieg hervorgerufen werden, bis Laufzeitende auszusitzen, da keine vordefinierte Laufzeit mit Rückzahlung der Nominale vorliegt. Bei Fonds und ETFs wirkt sich der Zinsanstieg jedoch positiv über in Zukunft neu aufgenommenen Anleihen mit höheren Renditen aus.

Neben den klassischen Anleihefonds ohne vordefinierte Laufzeit gibt es jedoch auch solche, welche ein konkretes Ablaufdatum besitzen, sogenannte Laufzeitfonds. In solch einem Fonds werden meist Anleihen gebündelt die vor oder nahe eines bestimmten Zeitpunktes abreifen. Aufgrund des aktiven Managements und einem gewissen Spielraum bei der Auswahl der Laufzeiten ist die Rendite im Vorhinein nicht vollkommen kalkulierbar, jedoch ist diese im Vergleich zu den herkömmlichen Fonds deutlich berechenbarer. Aktuell sind auch Euro denominierte Anleihe-ETFs mit fixierter Laufzeit im Kommen.

Wie komme ich als Privatanleger zu meiner Anleihe?

Im ersten Schritt werden Anleihen üblicherweise am sogenannten Primärmarkt von Emittenten bei institutionellen Anlegern platziert. In einem zweiten Schritt können diese über ein "Listing" an einer Börse für das breite Publikum zugänglich gemacht werden. Genau wie bei einer Aktie können Privatanleger diese dann über eine Bank oder Broker an der Börse handeln. Auch an der Wiener Börse werden Unternehmens-, Bank- als auch Staatsanleihen angeboten, die für private Anleger zugänglich sind. Aufgrund von verschiedenen gesetzlichen Regelungen, dazu später mehr, kann jedoch ein Großteil der an der Börse gelisteten Anleihen nicht von privaten Anlegern gehandelt werden. Weiters bieten gegebenenfalls Banken ihren Kunden direkt Anleihen des eigenen Hauses an. Diese Anleihen haben unter Umständen besondere Konditionen, welche speziell auf die Bedürfnisse von Privatanlegern zugeschnitten sind. In Zeiten hoher Inflation sind beispielsweise Anleihen, welche bei hohen Inflationszahlen höhere Auszahlungen versprechen, verstärkt nachgefragt worden. Auch Anleihefonds können beim Anbieter direkt, oder teilweise auch über die Börse erworben werden.

Anleihen sind jedoch nicht börsenpflichtig. Ein Teil der Anleihen sind Over-the-Counter Produkte (OTC). Dies bedeutet, dass diese nur auf speziellen professionellen Handelsplattformen gehandelt werden können, wo direkt zwischen Käufer und Verkäufer Preise ausgehandelt werden. Hier haben Privatpersonen grundsätzlich keinen Zugang.

Hürden für den Kauf als Privatanleger - PRIIP, MiFID II und eine zu hohe Mindeststückelung

Aus Emittentensicht dürfen Unternehmensanleihen nur unter Beachtung einiger regulatorischer Bestimmungen an Privatinvestoren angeboten werden. Hierbei steht die PRIIP-Verordnung (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) im Mittelpunkt. Diese kennzeichnet grundsätzlich Finanzprodukte, bei denen die Rückzahlung der Anlagesumme von einem Referenzwert abhängt, als "verpackt". Sobald eine Anleihe als ein von der EU definiertes verpacktes Anlageprodukt (PRIIP) gilt, und diese Kleinanlegern zur Verfügung gestellt werden soll, müssen einige Auflagen beachtet werden. Unter anderem muss dem Anleger ein Basisinformationsblatt (BIB) bereitgestellt werden. Dieses informiert über die Risiken und Merkmale des Produkts und beinhaltet Warnhinweise, Rendite- und Stressszenarien und Informationen zum vorzeitigen Verkauf oder Kündigung. Aufgrund von möglichen Haftungsrisiken und den Kosten der Erstellung und laufenden Aktualisierung des BIBs scheuen viele Unternehmen diesen Schritt und verzichten darauf das Finanzprodukt an Kleinanleger zu vermarkten, dies stellt die österreichische Finanzmarktaufsicht in einer Mitteilung fest. Auch die deutsche BaFin beklagte 2021 einen Rückgang der für Privatanleger zugänglichen Unternehmensanleihen. Vor allem KMUs dürften unserer Ansicht nach die zusätzlichen Kosten abschrecken.

Doch welche Anleihen sind nun konkret von der Verordnung betroffen? Anleihen gelten unter anderem als verpackt, wenn es sich um Wandel- oder Optionanleihen handeln. Weiters kann das Vorliegen einer Make-Whole-Klausel reichen, um als verpackt zu gelten. Diese in den USA recht übliche Klausel gibt dem Emittenten ein vorzeitiges Kündigungsrecht, bei der er die Anleihe vor Fälligkeit zurückzahlen kann, inkl. Entschädigung entfallener Kuponzahlungen. Laut der Börse Stuttgart können rund die Hälfte der dort gelisteten Anleihen aufgrund dieser Klausel, von welcher in nur sehr wenigen Fällen Gebrauch gemacht wird, nicht von Privatinvestoren gehandelt werden. Eine variable Verzinsung, bspw. eine Kopplung an den Euribor, ist nur in Verbindung mit einer weiteren Strukturierung, wie eine Ober- oder Untergrenze (außer Null), als verpackt einzustufen. Folgende Merkmale reichen alleine explizit nicht um unter die PRIIP-Verordnung zu fallen: eine unbestimmte Laufzeit, Nachrangigkeit, Kündigungsrecht des Inhabers (Puttable) oder ein Stufenzins. Die EU-Kommission plant aktuell eine Überarbeitung der PRIIP-Verordnung, welche das Vorhandensein einer Make-Whole-Klausel nicht mehr zu einer Klassifizierung als verpacktes Finanzprodukt führen würde. Dies würde das Angebot an Anleihen für Privatanleger deutlich erhöhen.

Neben der PRIIP-Verordnung schützt die EU Privatanleger weiters über die MiFID II Bestimmungen (Markets in Financial Instruments Directive). Emittenten von Anleihen müssen in einer Zielmarktdefinition festlegen, welche Anleger in ihr Produkt investieren dürfen. Werden hier Privatanleger als mögliche Kunden angefügt, müssen zusätzliche Regelungen beachtet werden, welche zu einem weiteren Mehrkostenaufwand führen.

Weiters ist die Stückelung bzw. die Mindesthandelsmenge von Anleihen oft viel zu hoch für die meisten Privatanleger – EUR 10.000 oder auch EUR 100.000 sind hier nicht unüblich. Auch dies hat regulatorische Gründe. Ab einer Stückelung von EUR 100.000 entfällt nämlich eine detaillierte Prospektpflicht. Staatsanleihen der Bundesrepublik Österreich haben eine niedrigere Stückelung von EUR 1.000 und sind damit für Privatanleger leichter zugänglich. Auch Staatsanleihen anderer Eurozonenländer weisen oft eine privatanleger-freundliche Stückelung auf. Jüngst kündigte das österreichische Finanzministerium an den "Bundesschatz" zu reaktivieren. Dies ist eine Plattform bei der Privatanleger direkt Bundesanleihen vom Staat kaufen können, ohne Intermediär.

Invertierte Zinskurve - macht es da überhaupt Sinn langfristige Anleihen zu kaufen?

Aktuell sind im Euroraum viele Bereiche der Zinskurve invertiert. Dies bedeutet, dass Anleihen mit längerer Laufzeit niedriger rentieren als solche mit kurzer. Intuitiv erwartet man ersteinmal bei längerer Laufzeitenbindung und höherem Zinsrisiko (Duration) auch eine höhere Vergütung. Wieso dies jedoch auch wirtschaftlich begründet sein kann, möchten wir in folgendem Szenario beschreiben, welches auf der Erwartungstheorie der Zinsstruktur basiert.

Ein Unternehmen bietet ihnen zwei Anleihen an. Eines mit einer 2-jährigen Laufzeit und einer Rendite von 3 % und eines mit einer 3-jährigen Laufzeit und einer Rendite von 2,5 %. Für welche entscheiden sie sich nun? Die für die meisten intuitivere Antwort wäre erstere Anleihe. Man hat einerseits sein Kapital früher zurück, andererseits erzielt man pro Jahr auch noch eine höhere Rendite. Der Erwerb der zweiten Anleihe muss jedoch nicht irrational sein. Eine niedrigere Rendite bei längerer Laufzeit (bei sonst gleichen Charakteristika) kann ebenfalls ökonomisch begründet sein. Ein wichtiger Faktor spielt hier der erwartete zukünftige Zinssatz. Entscheidet man sich nämlich für die kurzfristigere Anleihe muss man in 2 Jahren sein Geld neu anlegen, und das zu einem Zinssatz, der zum heutigen Zeitpunkt nicht bekannt ist. Erwartet der Markt, dass das Zinsniveau in 2 Jahren niedriger ist als heute, kann sich das auch in einer niedrigeren 3-jährigen Rendite im Vergleich zur 2-jährigen wiederspiegeln. In der Realität spielen neben den Erwartungen der zukünftigen Zinsen noch viele weitere Faktoren eine Rolle. Mit diesem vereinfachten Beispiel wollten wir jedoch lediglich verdeutlichen, dass eine höhere Rendite bei kürzerer Laufzeit nicht immer die bessere Anlagestrategie darstellen muss.

Anhang: Grundlagen zu Anleihen

Was ist eine Anleihe? Falls sie mit dem Begriff „Anleihe“ bisher wenig Berührungspunkte hatten, stellen wir hier kurz die grundlegenden Charakteristika vor.

Staaten, Unternehmen oder auch Banken leihen sich zur Finanzierung ihrer Investitionen Geld. Im Gegenzug erhalten die Gläubiger das Recht die geliehene Geldsumme in der Zukunft zurückzufordern, sowie meistens zusätzlich die Zahlung von Zinsen. Diese Schuld wird in einem Wertpapier festgehalten, der Anleihe. Anleihen zählen zum Fremdkapital und werden bei Konkurs des Schuldners vor den Eigentümern (Aktionären) ausgezahlt, bieten dementsprechend eine höhere Sicherheit als Aktien. Die Wechselwirkung zwischen Preis einer Anleihe und Zinsen/Rendite ist negativ. Fällt der Preis steigt die Rendite, und umgekehrt. Anleihen mit höheren Renditen implizieren bei sonst gleichen Konditionen ein höheres Risiko. Staatsanleihen gelten grundsätzlich als die sichersten Anleihen mit der niedrigsten Ausfallwahrscheinlichkeit. Es sei jedoch angemerkt, dass dies stark vom jeweiligen Land abhängt.

Nennwert/Nominale: ist der Betrag, der auf der Anleihe vermerkt ist, und welcher bei Laufzeitenende an den Gläubiger zurückgezahlt wird.

Fälligkeit: entspricht dem Rückzahlungstermin des Nennwertes, also dem Datum an dem der Emittent dem Gläubiger das geliehene Geld zurückzahlen muss.

Kupon: entspricht dem Zins, der auf den Nennwert gezahlt wird. Dieser wird im europäischen Raum meist jährlich ausbezahlt, wobei auch halbjährlich und quartalsweise Zahlungen möglich sind. Es kann sich um einen fixen Kupon, sprich einen fixen Prozentsatz auf die Nominale, oder auch um einen variablen Zins, welcher abhängig von einem anderen Zinssatz (bspw. Euribor) oder einem Index (bspw. Inflationsindex) ist. Eine Vielzahl von weiteren Kupon-Arten sind möglich (Stufenzins, Nullkupon, …)

Yield to Maturity: ist die bekannteste Renditekennzahl für Anleihen. Sie gibt die erwartete jährliche Rendite der Anleihe an, sollte diese bis zum Laufzeitenende gehalten werden und sollten die Kuponzahlungen zu dieser selben Rate reinvestiert werden können. Ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Preis, Kupon und Laufzeit. Die tatsächliche Rendite hängt von der Rate ab, zu der die Kuponzahlungen in der Zukunft reinvestiert werden können. Diese Rate ist vorab ungewiss. Die Untergrenze für die tatsächliche Rendite würde sich aus dem Fall ergeben, in der die Kuponzahlungen gar nicht reinvestiert werden würden. Ein Beispiel: kauft man heute eine 5-jährige Anleihe um den Preis 100, welche eine Rückzahlung von 100 und einen Kupon von 3 % hat, weist diese eine Yield to Maturity von 3 % auf. Werden alle zukünftigen Kuponzahlungen immer mit 3 % reinvesiert, wird auch die tatsächlich erwirtschaftete jährliche Rendite ebenfalls 3 % betragen. Dies entspricht einen Endbetrag von 15,93 in 5 Jahren. Reinvestiert man die Kuponzahlungen nicht, kassiert sie also Bar und bewahrt sie bspw. unter der Matratze auf, liegt die jährliche durchschnittliche Rendite bei 2,83 %. Der Endbetrag würde sich auf 15,00 belaufen. Die Differenz zwischen 15,93 und 15,00, welche einer Gesamtrendite von 15,93 % bzw. 15 % über die 5 Jahre entsprechen, ist auf den Zinseszinseffekt, bzw. der Reinvestition der Kuponzahlungen, zurückzuführen. Unterm Strich ist die Yield to Maturity als eine Approximation der erwarteten Rendite zu sehen.

Tabelle 1 - Cashflow-Vergleich einer Anleihe* ohne und mit Reinvesition der Kuponzahlungen
*Standardanleihe mit Preis=100, Nominale=100, Kupon=3% und Laufzeit=5 Jahren; Reinvestition der Kuponzahlungen zu 3%
Quelle: RBI/Raiffeisen Research

Duration: gibt die durchschnittliche Kapitalbindungsdauer einer Geldanlage in einem festverzinslichen Wertpapier an. Je höher diese ist, desto stärker reagiert der Kurs der Anleihe auf eine Änderung der Marktzinsen. Je länger die Laufzeit und je niedriger der Kupon ist, desto höher ist die Duration.

Rang/Besicherung: Beim Rang geht es grundsätzlich um die Reihenfolge der Rückzahlung an Schuldner im Falle von Zahlungsschwierigkeiten. Dabei werden Anleihen mit dem höchsten Rang als erstes bedient, hin zu dem mit den niedrigsten. Reicht eine Insolvenzmasse nicht für die Rückzahlung aller Anleihen aus, werden als allererstes Anleihen mit dem niedrigsten Rang Verluste erleiden. Senior Anleihen sind grundsätzlich Anleihen mit hohem Rang und Subordinated (Junior) bezeichnen einen niedrigeren Rang. Bei Banken gibt es weiters mehrere Unterkategorien. Zusätzlich gibt es Anleihen, welche im Konkursfall des Emittenten auf ein gesondertes Vermögen zugreifen können (besicherte Anleihen – Covered Bonds).

Mindesthandelsmenge/Stückelung: gibt an welches Volumen mindestens gehandelt werden muss, um die Anleihe zu kaufen/verkaufen, bzw. in welchen Stückelungen dieses erhöht werden kann. Für Privatinvestoren ist dies besonders relevant, da insbesondere Unternehmensanleihen meist auf institutionelle Investoren abzielen. Diese weisen mitunter Mindesthandelsmengen von EUR 100.000 auf. Wir nehmen grundsätzlich an, dass eine Mindesthandelsmenge/Stückelung bis max. EUR 1.000 für Privatinvestoren in Frage kommt.

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Oliver MARX

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Oliver Marx ist verantwortlich für das SSA Research in der Abteilung Fixed Income & ESG. Er kam 2017 zur Raiffeisen Bank International und hat seither in verschiedenen Bereichen im Research gearbeitet. Er begann Vollzeit als CEE Economic Analyst mit Fokus auf Südosteuropa. Mit zunehmendem Interesse am Fixed Income Segment wurde er verantwortlich für Renditeprognosen westeuropäischer Staatsanleihemärkte, wo er sich auf die Analyse und Modellierung von Risikoprämien konzentrierte. Aktuell liegt sein Interesse besonders auf dem Anleihemarkt im Sovereign und SSA-Sektor. Des Weiteren befasst er sich tiefer mit makroökonomischen Themen und deren Einfluss auf die Finanzwirtschaft.