Der Bundesrat setzt die Pflege-Initiative quälend langsam um

Den «Pflexit» stoppen, bevor es zu spät ist

Christian Egg

Der Notstand in Spitälern und Heimen verschärft sich Monat für Monat. In Bern fordern über 700 Pflegende Kantone und Arbeitgeber auf: Handelt jetzt!

WOLLEN MEHR TEMPO: Pflegende auf dem Bundesplatz. (Foto: Manu Friederich)

Schon eine Viertelstunde bevor’s losgeht, steht eine Menschenmenge auf dem Bundesplatz. Viele von ihnen tragen weisse Berufskleider, in der Hand selbstgebastelte Schilder.

Gut 700 Pflegerinnen und Pfleger sind aus der ganzen Schweiz zusammengekommen an diesem 26. November – ein Jahr nach dem deutlichen Ja zur Pflegeinitiative (61 Prozent). Der Jubel ist verhallt, Enttäuschung macht sich breit. Jan Honegger, Pfleger in einem Altersheim in der Ostschweiz, sagt: «Seither ist es nicht besser geworden, nur schlimmer.» Viele arbeiteten nur noch temporär, weil sie dann selber über ihre Einsätze bestimmen könnten.

Für die Verbleibenden Festangestellten heisse das noch mehr Aufwand, weil sie immer wieder neuen Kolleginnen und Kollegen alles zeigen müssten. «Das Ergebnis ist noch mehr Stress, und noch mehr Leute werden krank oder steigen aus. Ein Teufelskreis.»

«Schon ein Jahr nach der Ausbildung musste ich sagen: So geht das nicht.»

IN STÄNDIGER ANGST. Ein paar Schritte weiter steht Carol Tanner aus der Stadt Bern. Auf ihrem Demoschild steht: «Nach Brexit folgt Pflexit.» Der Ex­odus aus dem Gesundheitswesen ist ungebremst. Jeden Monat kehren 300 Pflegende dem Beruf den Rücken. Tanner sagt, die Dienstpläne seien eine Zumutung: «Vier Nachtdienste hintereinander, einen Tag frei, sechs Spätdienste, wieder einen Tag frei, dann gleich weiter mit Frühdienst. Schon ein Jahr nach der Ausbildung musste ich sagen: So geht das nicht.» Ihre Kollegin Cathrine Liechti ergänzt, wegen Personalmangels würden ihr regelmässig zu viele Patientinnen und Patienten zugeteilt. «Da kannst du die Verantwortung gar nicht richtig wahrnehmen. Also lebst du ständig mit der Angst, einen Fehler zu machen.»

ES DAUERT. Zwar will das Parlament die Pflege-Ausbildung mit einer Milliarde Franken stärken. Ursache für den «Pflexit» sind aber die schlechten Arbeitsbedingungen in Spitälern und Heimen. Zu Verbesserungen, wie von der Initiative verlangt, macht der Bundesrat jetzt erst ein «Aussprachepapier». Bis er dem Parlament ein Gesetz vorlegt, dauert es.

Zu lang, sagen die Pfle­genden. Und fordern von Kantonen und Arbeitgebern Sofortmassnahmen, darunter kürzere Arbeitszeiten, mehr Ferien, höhere Löhne und Zulagen (work berichtete: rebrand.ly/5forderungen).

1 Kommentar

  1. Bruno Facci

    Bundesrat und Parlament haben fürs Erste ihre Arbeit getan: Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat dem 500-Millionen-Paket zur Förderung der Aus- und Weiterbildung in der Pflege zugestimmt.
    Jetzt sind die Kantone am Drücker. Die warten aber, bis die Verwaltung die entsprechenden Verordnungen erlassen hat. Im Hinblick darauf, dass der Bund jetzt eine Zahlungsverpflichtung hat, müssen sie jetzt und sofort Vorleistungen erbringen. Sonst werden die ersten Gelder erst Ende 2023 fliessen.
    Bis dann sind schon wieder 3600 Pflegende aus dem Beruf ausgestiegen. Und weitere Heerscharen von Pflegenden arbeiten bis dann bei Temporärfirmen. Letzteren geht es nicht um eine gute Pflege, sondern nur um den Profit. Und den Festangestellten werden dadurch die eh schon miesen Arbeitsbedingungen zusätzlich vermiest. Sie müssen noch mehr einspringen, noch mehr ungeliebte Dienstzeiten und Überzeiten in Kauf nehmen.
    Um den Kantonen Beine zu machen, müssen die Verbände die Pflegende organisieren in ihren Kantonen zusammenstehen und die Regierung an ihre Verantwortung erinnern für die kantonale Gesundheitsversorgung. Und die Exekutiven der Gemeinden an ihre Verantwortung für die kommunale Gesundheitsversorgung.

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